Eine rundum "fehlerfreundliche Einstellung"
Teil II des Interviews mit Professor Dr. Krenz zur Identität und Professionalität im Erzieherberuf.
BIBER: Welche Fragen sollte sich jemand stellen, der sich für den Beruf der pädagogischen Fachkraft entscheidet?
Prof. Dr. Krenz: Zukünftige Fachkräfte sollten sich beispielsweise Folgendes fragen: Bin ich bereit,
| mich immer wieder als lernende Person zu verstehen, meine eigene Biografie kritisch zu betrachten und die Weiterentwicklung meiner Persönlichkeit auf mich zu nehmen? |
| mich engagiert und neugierig, lernfreudig und innovativ auf einen Beruf einzulassen und persönliche Haltungen, Sichtweisen und Lebensgrundsätze zu hinterfragen? |
| neben einem sehr anstrengenden Arbeitsalltag Fort- und Weiterbildungsangebote wahrzunehmen und mein Wissen durch das permanentes Lesen von Fachliteratur immer wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen? |
| Belastungen auf mich zu nehmen, indem ich mich beispielsweise mit unterschiedlichen Erwartungen von außen auseinandersetze und an einem eigenständigen, unverwechselbaren Persönlichkeits- und Arbeitsprofil arbeite? |
| die Elementarpädagogik durch persönliches Engagement und fachlich abgesicherte Arbeitsvorhaben nach vorne zu bringen und daran mitzuarbeiten, dass die Elementarpädagogik immer stärker ein eigenes Profil – in Abgrenzung zu anderen pädagogischen Disziplinen – entwickeln wird? |
BIBER: Welche Maßnahmen halten Sie für die Auswahl von geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern für sinnvoll? Sollten Ihrer Meinung nach gar Eignungstests als Zugangsvoraussetzung für frühpädagogische Berufe durchgeführt werden?
Prof. Dr. Krenz: Eignungstests könnten ein Lösungsschritt (aber nur neben anderen!) sein, um anhand bestimmter Qualitätskriterien von Anfang an sicherzustellen, dass die Elementarpädagogik Persönlichkeiten braucht und findet, die die genannten Kriterien erfüllen. Darüber hinaus müssten zukünftige Fachschüler oder Studierende Vorpraktika – unter Supervision – ableisten, um bereits vor einer Ausbildung oder längerfristigen Weiterbildung das Berufsfeld kennenzulernen und erste Erfahrungen mit den Anforderungen zu machen.
BIBER: Wie können sich pädagogische Fachkräfte in der Praxis ihrer Professionalität und Identität bewusst werden und diese weiter ausbauen?
Prof. Dr. Krenz: Die drei "Zauberworte" auf Ihre Frage lauten 1. Selbsterfahrung, 2. Reflexion durch Supervision und 3. qualitätsorientierte, personenzentrierte Fort- und Weiterbildung. Professionalität und Identität wollen ständig überprüft, erweitert, verändert und entwickelt werden. Stillstand bedeutet Rückschritt – gerade in persönlichkeitsorientierten Berufen. Auf der einen Seite konfrontieren uns Ergebnisse aus den Feldern der Entwicklungspsychologie, der Bildungs-, Bindungs- und Hirnforschung immer wieder mit neuen Tatsachen und fordern dadurch auf, die eigenen Sichtweisen und Annahmen zu hinterfragen beziehungsweise bisherige Arbeitsschritte und Vorhaben weiter zu qualifizieren. Es ist die ständige Erweiterung des eigenen Wissens mit aktuellen Erkenntnissen und der ständige Austausch mit anderen Personen, der den Ausbau der individuellen Professionalisierung voranbringt und die eigene Identität immer stabiler werden lässt. Elementarpädagogische Fachkräfte brauchen eine rundherum fehlerfreundliche Einstellung zu sich und ihrer Tätigkeit, um ihre Stärken zu stärken und kontinuierlich ihre Schwächen Stück für Stück weiter zu schwächen.
BIBER: Wie können Erzieherinnen und Erzieher diese Anforderungen an ihre Person konkret in der Praxis erfüllen?
Prof. Dr. Krenz: Eine solche, professionell geprägte Reflexion – in der Verbindung von persönlicher Selbsterfahrung und qualitätsorientierten Arbeitsmerkmalen – geschieht am besten im Rahmen einer Qualitätserhebung in der Einrichtung. Zum Beispiel anhand des "Kieler Instrumentariums für Elementarpädagogik und Leistungsqualität (K.I.E.L.)". Dieses Qualitätsinstrumentarium besteht aus zirka 400 Qualitätskriterien, die auf der einen Seite inhaltliche Anforderungen präzise beschreiben und auf der anderen Seite die elementarpädagogischen Fachkräfte immer wieder dazu auffordern, ihre persönlichen Einstellungen, Überzeugungen, Wertvorstellungen und Einschätzungen in die Beantwortung dieser Qualitätsmerkmale einzubringen und auf ihre fachliche Berechtigung hin zu überprüfen.
BIBER: Im Kollegium zu reflektieren ist sicher am gewinnbringendsten, jedoch fehlt im Kita-Alltag häufig die Zeit für eine intensive Auseinandersetzung - oder die Offenheit, persönliche Fragen im Team zu besprechen. Welche anderen Möglichkeiten gibt es, professionell zu reflektieren?
Prof. Dr. Krenz: In Selbsterfahrungsseminaren können pädagogisch Tätige dem "eigenen, inneren Kind" auf die Spur kommen. Dabei reflektieren die Teilnehmenden, welche Auswirkungen die eigenen biografischen Lebenssituationen auf die Arbeitsgestaltung haben, beispielsweise im Umgang mit Eltern, den Kolleginnen und Kollegen, den Kindern, Vorgesetzten und sogenannten Autoritätspersonen. Denn gegenwärtige Verhaltensweisen haben ihren Ursprung in Kindheitserlebnissen: Da kann es jederzeit passieren, dass Ohnmachtserlebnisse, Trennungsängste oder andere Vulnerabilitäten (seelische Verletzungen) als Wiederholungen aktualisiert und in Übertragungssituationen ausgedrückt werden. Damit wäre schnell der Boden für ein professionelles Verhalten verloren. Wie heißt es doch so wahr: "Im Umgang mit Kindern hat es die pädagogische Fachkraft stets mit zwei Kindern zu tun: dem Kind vor sich und dem Kind in sich." In einer solchen Selbsterfahrung geht es beispielsweise um eine Bestandsaufnahme der gelebten Ich-Form: Verhaltensweisen können entweder dem Kindheits-, dem Eltern- oder dem Erwachsenen-Ich zugeordnet werden. Der jeweilige Zustand kann entwicklungsförderliche Folgen (wie bei einem Erwachsenen-Ich) oder entwicklungshinderliche Folgen (wie bei einem gelebten Kindheits- oder Eltern-Ich) für das Gegenüber haben. Eine solche, mehrtägige Bestandsaufnahme konfrontiert die Fachkraft mit dem Real-Ich und schenkt ihr die Möglichkeit, ihre Stärken zu stärken.
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Zur Person
Professor Dr. Armin Krenz
arbeitet seit 1985 als Wissenschaftsdozent am außeruniversitären Institut für angewandte Psychologie und Pädagogik (IFAP) in Kiel und lehrt zusätzlich als Gastdozent an der Universität in Bukarest, Bulgarien. Seinen Forschungsschwerpunkt "Qualitätsgeprägte Elementarpädagogik und ihre Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung von Kindern im Kindergartenalter" vermittelt er Erzieherinnen und Erziehern in zahlreichen Fortbildungen.
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