"Das gemeinsame Spielen und Lernen reißt Grenzen ein"
In integrativen Kindergärten und Schulen wird Inklusion umgesetzt. Eltern erleben es als sehr bereichernd, wenn ihre Kinder eine solche Einrichtung besuchen.
Kinder brauchen Reibungspunkte
Die leibliche Mutter des kleinen Alexander war schwer drogen- und medikamenteabhängig. Ihr heute fünfjähriger Sohn erlitt eine Schädigung und lernt deutlich langsamer als andere Kinder. Doch er macht große Fortschritte in dem integrativen Kindergarten, den er im niederbayrischen Rettenbach besucht. Seine (Adoptiv-)Mutter Marion Löfflmann hofft, ihn im nächsten Jahr in einer regulären Grundschule anmelden zu können. "Ich kann Eltern nur raten, ihre Kinder in einem integrativen Kindergarten anzumelden", sagt sie. Die Kinder würden gefördert und lernten viel voneinander. "Alexander kann sogar die Großbuchstaben lesen", berichtet sie. Wenn gesunde Kinder und Kinder mit Einschränkungen zusammen spielten, entstünden Reibungspunkte: "Die brauchen die Kinder, denn dadurch lernen sie."
Nicht behindert, sondern anders
Ihr dreijähriger Pflegesohn Marco hat ein ausgeprägtes Aufmerksamkeitsdefizit. Seine Mutter war starke Alkoholikerin. "Marco ist ein helles Kerlchen", sagt Marion Löfflmann. Auch er entwickle sich erstaunlich gut in dem Kindergarten. "Beim Spielen geht es nicht darum, dass einer gewinnt", berichtet sie. Die Kinder lernten im Gegenteil die Unterschiede zu akzeptieren und nicht zu bewerten. Auch die leiblichen Kinder von Marion Löfflmann haben diesen Kindergarten besucht. Auf die Frage eines Verwandten, welche Behinderungen Kinder in seiner Gruppe hätten, antwortete ihr kleiner Sohn vor Jahren: "Behinderungen gar keine. Sie sind nur anders." Marion Löfflmann ist überzeugt: "Das gemeinsame Spielen und Lernen reißt Grenzen ein."
Alle sind gut, so wie sie sind
Diese Erfahrung hat auch Uta Metzner in Greifswald gemacht. Ihre Kinder besuchen die Martinschule. Dort existieren reguläre Klassen und Förderklassen parallel. Seit diesem Schuljahr gibt es außerdem zwei erste Klassen, in der die Kinder gemeinsam lernen. Ihre Söhne Lucas (12) und Lazar (10) sind in der vierten beziehungsweise der sechsten Klasse und haben beide keine Einschränkungen. "Die Kinder essen und lernen teilweise gemeinsam", erklärt Uta Metzner. "Behinderte Kinder gehen klarer mit ihren Emotionen um. Wenn sie traurig sind, weinen sie, wenn sie fröhlich sind, lachen sie." Die anderen Kinder würden dadurch offener, toleranter und würden "eingetretene" Verhaltensweisen aufgeben. Ihr Sohn Lucas ärgere sich zum Beispiel überhaupt nicht, wenn ein Kind aus einer Förderklasse seine Hausschuhe benutzte, weil er verstanden habe, dass dies nicht aus böser Absicht geschehe. "Die Kinder haben verstanden, dass es ganz viele verschiedene Kinder gibt, die alle gut sind, so wie sie sind", sagt Uta Metzner.
Gemeinsames Lernen motiviert
Die Martinschule hat Uta Metzner, die über ein Montessoridiplom verfügt, so sehr begeistert, dass sie dort inzwischen selbst als Quereinsteigerin unterrichtet. Sie ist Lehrerin in einer der beiden ersten inklusiven Klassen. Dieses Modell führe zu erstaunlichen Ergebnissen: "Einige Kinder haben angefangen zu lesen und zu schreiben, von denen wir es nicht erwartet hätten", berichtet sie. Das gemeinsame Lernen motiviere offenbar mehr als die Anleitung durch eine pädagogische Fachkraft. Den Einwand, dass Kinder ohne Behinderungen weniger profitierten, kann sie schnell entkräften: "Jedes Kind lernt in seinem eigenen Tempo", sagt sie. Das sei womöglich ohnehin realistischer als der Ansatz der Regelschule, alle aufs gleiche Niveau zu bringen.
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