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Das System muss sich den Kindern anpassen

Vielfalt wertschätzen und bewusst herbeiführen – das will die inklusive Pädagogik. Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenkonvention diesem Konzept verpflichtet, setzt es aber nur zögerlich um. Dabei profitieren von Inklusion alle Kinder.

"Es wird möglich gemacht"

Inklusion als pädagogisches Konzept heißt: Alle Kinder werden gemeinsam betreut und lernen zusammen, nicht nur behinderte und nicht-behinderte, sondern auch arme und reiche, deutsche und solche mit Migrationshintergrund, schnelle und langsame Lerner. "Inklusion will Heterogenität pflegen und bewusst herbeiführen. Man freut sich über jedes Kind, das etwas anderes mitbringt", sagt Lisa Pfahl, Leiterin der Forschungsstelle Inklusion an der Universität Bremen. Und: "Eine inklusive Schule prüft nicht, ob sie ein Kind mit besonderem Förderbedarf aufnehmen kann. Es wird möglich gemacht, beispielsweise indem Barrieren aller Art beseitigt werden oder oder die benötigte Fachkraft wie ein Einzelfallhelfer eingestellt wird", erklärt Inge Hirschmann, Rektorin der Heinrich-Zille-Grundschule in Berlin.

UN-Konvention verlangt Inklusion

Bildung für alle gemeinsam in einem Bildungssystem, das die Bedürfnisse aller Lernenden berücksichtigt und sich ihnen anpasst – das sind die beiden wesentlichen Merkmale inklusiver Pädagogik. Inklusion geht damit über Integration, die Minderheiten in ein schon bestehendes System aufnehmen will, hinaus. Die Leitidee der Inklusion wurde erstmals 1994 auf der UNESCO-Weltkonferenz "Pädagogik für besondere Bedürfnisse" in Salamanca formuliert und 2006 in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen festgehalten. In Deutschland ist die Konvention, die gemeinsame Bildungseinrichtungen für Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf verlangt, seit 2009 in Kraft. Doch während bei unseren europäischen Nachbarn 80 Prozent aller Kinder mit Förderbedarf eine Regelschule besuchen, ist es in Deutschland genau umgekehrt: Von den hierzulande gut 485.000 Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Zahlen für 2009/2010) besuchen laut UNESCO 80 Prozent "Sonderschulen". Neben Kindern mit geistigen oder körperlichen Behinderungen sind das vor allem Kinder mit Lernbehinderungen. Letztere sind mehrheitlich Kinder aus sozial schwachen Familien sowie Kinder mit Migrationshintergrund.

Förderschulen: Auslese und Sackgasse

Zwar ist in den deutschen Kitas und Grundschulen inklusive Pädagogik inzwischen relativ weit verbreitet. So werden laut der Bertelsmann-Studie "Gemeinsam lernen – Inklusion leben" (2010) im Vorschulalter über 60 Prozent der Kinder gemeinsam betreut, und in den Grundschulen liegt der Inklusionsanteil immerhin bei 34 Prozent. Doch danach kommt es zum Bruch: In weiterführenden Schulen werden nur noch 15 Prozent der Kinder mit Förderbedarf gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet. Dabei erweist sich das vergleichsweise teure deutsche Sonderschulsystem meist als Sackgasse: 2,6 Milliarden Euro geben wir jährlich für zusätzliche Lehrkräfte an Förderschulen aus – mit dem Ergebnis, dass gut zwei Drittel der Förderschülerinnen und –schüler nicht einmal einen Hauptschulabschluss erreichen. Außerdem handelt es sich um ein System der sozialen Auslese, wie Lisa Pfahl kritisiert: "Die Hälfte der Kinder in Förderschulen gilt als lernbehindert. Zwei Drittel von ihnen stammen aus armen Familien, wo Eltern es – auch finanziell – nicht leisten können, ihre Kinder entsprechend zu unterstützen."

Bessere Perspektiven, höhere Sozialkompetenz

Inklusive Pädagogik verlangt die entsprechenden Ressourcen und stellt Schulen wie pädagogische Fachkräfte vor Herausforderungen, denn Probleme werden nicht beim einzelnen Kind, sondern im Bildungssystem gesehen. Entsprechend müssen Unterricht und Lehrmethoden den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder angepasst und vor allem flexibler gestaltet werden. In einer inklusiven Einrichtung lernen nicht alle dieselben Dinge zur selben Zeit mit denselben Mitteln und Methoden. Doch gerade von diesem gemeinsamen Lernen profitieren alle Kinder. Das belegen mehrere Studien wie die Bertelsmann-Studie oder die schweizerische Untersuchung "Langzeitwirkungen der schulischen Integration" (2011). So haben Kinder mit besonderem Förderbedarf, die inklusive Schulen besucht haben, als junge Erwachsene deutlich bessere Berufsperspektiven. Ihr Selbstwertgefühlt ist stärker und sie sind besser sozial integriert als jene, die Förderschulen besucht haben. Und Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf entwickeln in einem inklusiven System höhere soziale Kompetenzen – ohne dass sich ihre Schulleistungen verschlechtern.

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