Sprachförderung als Querschnittsaufgabe
Im zweiten Teil des Interviews unterstreicht Frau Dr. Karin Jampert die Wichtigkeit einer lustvollen und spielerischen Sprachförderung und der Integration von Sprachfördermaßnahmen in alle frühkindlichen Bildungsbereiche. Auch die Schwierigkeiten und Chancen multikulturell zusammengesetzter Kita-Gruppen kommen zur Sprache.
BIBER: "JoNaLu" ist ein neues TV-Format zur Sprachförderung von ZDFtivi (siehe rechte Spalte). Bei "JoNaLu" erleben zwei kleine Mäuse und ein Käfer gemeinsame Abenteuer mit ihren Freunden. Dabei wird viel gerufen, gereimt, gesungen und getanzt. Was hat das mit Sprachförderung zu tun?
Karin Jampert: Wenn man Kinder in ihrem Alltag beobachtet, erkennt man, wie sehr sie es lieben, sich lustvoll mit Stimme und ihrem Körper zum Ausdruck zu bringen. Und sie lassen sich vom Singen oder Reimen ihrer Freunde mit Begeisterung anstecken. So kommen zum Beispiel vier- bis fünfjährige Kinder dem Geheimnis auf die Spur, dass sich Wörter reimen, und sie amüsieren sich über die kreative Verwandlung von Wörtern durch den Austausch einzelner Laute wie etwa "Papa – Popo – Pipi!". Sprache ist ja kein starres Medium der Kommunikation, sondern lässt sich kreativ und auf vielfältige Weise einsetzen und gestalten. Deshalb ist es wichtig, die Schatztruhe der Sprache zu öffnen und Kinder - entsprechend ihrem sprachlichen Entwicklungsstand - daran teilhaben zu lassen. Hinzu kommt, dass auch die non-verbale Kommunikation ein wichtiges Ausdrucksmittel für die Kinder ist. Gestik, Mimik und Bewegung sind im Unterschied zur Sprache anschaulich und durch Wahrnehmung zu erschließen, weshalb non-verbale Ausdrucksmittel insbesondere für jüngere Kinder (oder für Kinder mit einer anderen Ausgangssprache) eine wichtige Brücke für das Verständnis von sprachlichen Botschaften darstellen.
BIBER: "JoNaLu" ist wie ein kleines Musical inszeniert. Musik spielt eine zentrale Rolle - mit der Besonderheit, dass bei den Mitmachelementen Sprache, Bewegung und Musik inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Welche Sprachförderqualität hat das?
Karin Jampert: Sowohl die Sprache als auch Bewegung und Musik sind Medien des Ausdrucks und der Darstellung. Allerdings ist die Sprache als Zeichensystem ein allgemeines und abstraktes Ausdrucksmittel, während Bewegung und Musik sinnlich wahrgenommen und ‚verstanden' werden können. Die Verknüpfung von Sprache, Bewegung und Musik entspricht dem ganzheitlichen Handeln von Kindern und kann deshalb für eine sprachliche Unterstützung genutzt werden. Diese verschiedenen Ausdrucksmedien sprechen ganz unterschiedliche Sinneskanäle von Kindern an, und Kinder erleben, dass sie ein- und dieselbe Sache sowohl mit Worten als auch durch Bewegung und Rhythmus darstellen können.
BIBER: In Kitas treffen zunehmend verschiedene Sprachen und Kulturen aufeinander, "JoNaLu" trägt diesem Umstand mit der Integration fremdsprachiger Charaktere Rechnung. Worin sehen Sie die Chancen und Schwierigkeiten der multikulturellen Zusammensetzung in Kitas?
Karin Jampert: Ohne gleich von Chancen oder Schwierigkeiten zu sprechen, ist festzuhalten, dass multikulturelle Kindergruppen der Bevölkerungsstruktur in Deutschland entsprechen. In ihnen spiegelt sich die Zusammensetzung der Gesellschaft wider. Schwierigkeiten verdanken sich aus meiner Sicht nicht primär einer multikulturellen Zusammensetzung von Gruppen, sondern entstehen durch die Aus- oder Abgrenzung von sozial benachteiligten Familien. So werden in manchen Regionen Einrichtungen nur noch von Familien aufgesucht, in denen sich (Bildungs-)Armut auf die sprachliche Entfaltung von Kindern auswirkt. Für diese Kindergruppen wären in erster Linie verstärkte bildungspolitische Bemühungen wichtig, das heißt eine verbesserte personelle und materielle Ausstattung von Einrichtungen sowie institutionenübergreifende Sprachförderkonzepte, die nicht nur Kindertageseinrichtungen, sondern auch die schulische Bildung umfassen. Die Chancen multikultureller Einrichtungen sehe ich in der Sensibilisierung aller Kinder für die Bedeutung der Sprache. Denn wenn das "normale" deutsche Sprachgefühl, in das Kinder hineinwachsen, angeregt wird durch die Konfrontation mit ‚fremden', anderen Sprachen, können Kinder schon früh damit beginnen, bewusster auf Sprache zu achten. Sie können dann nicht nur ein frühes Interesse für andere Sprachen entwickeln, sondern auch ihre Wahrnehmung für die Besonderheiten und die Reize der deutschen Sprache schärfen.
BIBER: Sie betonen nachdrücklich die Wichtigkeit der Sprachförderung im frühkindlichen Bereich; hier kommt Erzieherinnen und Erziehern eine große Verantwortung zu. Werden die Fachkräfte in ihrer Ausbildung hinreichend auf diese Aufgabe vorbereitet?
Karin Jampert: Was die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften betrifft, ist unumstritten, dass es enormen Nachholbedarf gibt, und mittlerweile wurden bildungspolitische Initiativen (wie etwa die Weiterbildungsintitiative Frühpädagogische Fachkräfte - WiFF) gestartet, um die Qualifizierung von Erzieherinnen zu verbessern. Dies ist keine leichte Aufgabe. Denn Sprachentwicklung und Sprachförderung sind ein komplexes sprach- und entwicklungspsychologisches Thema, zu dem viele Erkenntnisse aus der Wissenschaft vorliegen, allerdings nicht in einer Fassung, die geeignet wäre für einen direkten Transfer an (angehende) Fachkräfte. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
BIBER: Wie können Erzieherinnen und Erzieher Sprachfördermaßnahmen im Kita-Alltag am besten umsetzen?
Karin Jampert: Diesbezüglich möchte ich noch einmal den Gedanken der Sprachförderung als Querschnittsaufgabe des Bildungsalltags aufgreifen, und zwar im Sinne einer Förderung, die sich am Stand der kindlichen Entwicklung orientiert. Es geht letztendlich um eine Antwort auf die Frage: Wie kann man Kinder in einer Entwicklung unterstützen und fördern, die sie ja eigentlich von sich aus vorantreiben? Aus meiner Sicht am besten dadurch, dass man ihren Motor des sprachlichen Fortschritts, also das, was Kinder unbewusst motiviert zur Aneignung von Sprache, berücksichtigt und unterstützt. Und dieser Motor des kindlichen Spracherwerbs besteht vor allem darin, dass Kinder in ihrem alltäglichen Handeln und entsprechend ihrem Entwicklungsstand Sprache als bedeutsam erleben können. Die Erweiterung sprachlicher Handlungsmöglichkeiten ist sinnvoll im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der kindlichen Persönlichkeit. Denn mit den kindlichen Entwicklungsschritten verändern sich die Aktivitäten und Themen, die für Kinder wichtig sind, und damit auch die dafür nötigen sprachlichen Anforderungen. Außerdem ist das Sprachverhalten eng verbunden mit der Entwicklung der kindlichen Identität, mit der Entstehung und Gestaltung von Freundschaften zwischen Kindern sowie mit dem Aufbau eines sprachlichen Erfahrungswissens und Gedächtnisses. Kurz gesagt: Sprachförderung gelingt am besten in einem anregenden Bildungsalltag, in dem Sprache wichtig wird für die geteilte Aufmerksamkeit im Dialog, für die Kooperation im spielerischen Handeln mit den Freunden sowie für die Partizipation und aktive Beteiligung am alltäglichen Geschehen.
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