Entdeckergeist – Forscherdialoge mit Dr. Ansari
Die Filme der DVD vermitteln anregend und eindrücklich, wie die Fähigkeiten und Einsichten der Kinder gefördert werden können, Naturphänomene zu erkunden und zu verstehen. Ausgangspunkt sind stets "Fragen an die Natur", die den Anlass für bereichernde "Entdeckungsreisen" mit Kindern geben.
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"Entdeckergeist" - unter diesem Titel dokumentieren drei Filme und ein Interview die spezifische pädagogische Arbeitsweise von Dr. Salman Ansari mit Kindergartenkindern. Naturwissenschaftliche Förderung in Kindertagesstätten ist längst ein zentrales Anliegen der Bildungspläne aller Länder geworden, und auch über das "Wie" dieser Förderung lässt sich bereits eine gemeinsame Grundidee erkennen: Einig ist sich die Fachwelt darin, dass es nicht darum gehen kann, dass Erzieherinnen und Erzieher naturwissenschaftliches Wissen erwerben oder nutzen, um den Kindern zu zeigen, wie etwas funktioniert, oder sie zu belehren, was richtig und was falsch ist oder wie man etwas wissenschaftlich "richtig" sagt. Im Gegenteil: Wenn Kindern Naturphänomene und neue Erfahrungsfelder erschlossen werden sollen, dann soll die wesentliche Aufgabe der pädagogischen Fachkraft darin bestehen, das natürliche und aus eigenem Antrieb genährte Bemühen der Kinder um Verständnis ihrer Welt zu unterstützen. Das heißt insbesondere, ihnen Lernanlässe anzubieten und Handlungen zu ermöglichen, so dass sie eigenen Fragen, Vermutungen und damit verbundenen Untersuchungen nachgehen können. Auf diese Weise sollen die Erzieherinnen und Erzieher ihnen helfen, ihre Welt und sich selber besser zu verstehen.
Methodische und didaktische Hinweise
Fähigkeiten und Einsichten der Kinder fördern
So einleuchtend diese Grundidee der Förderung auch erscheint, so ist damit allein ein erfolgreiches Arbeiten mit Kindern noch nicht zwingend garantiert: Denn Erzieherinnen und Erzieher müssen wissen und verstehen, welche weiteren Aspekte bei der Planung und bei der Arbeit mit den Kindern bedeutsam sind, damit die Grundidee für die Entwicklung der Kinder fruchtbar werden kann.
So kann es gelingen
Hierzu stellen die Filme auf der DVD eine wertvolle Hilfe dar: Dr. Salman Ansari, ein promovierter Chemiker und Pädagoge, zeigt zunächst an mehreren Beispielen aus seinem Projekt "Entdecken. Fragen. Forschen – Frühe naturwissenschaftliche Bildung in der Kita" ganz konkret und praktisch, wie er das Denken der Kinder anregt und ihnen Anlässe gibt, selber auf Fragen und Vermutungen zu kommen und sie zu verfolgen. Die Beispiele sprechen sehr an: Die positiven Effekte bei den Kindern lassen sich überzeugend miterleben und lassen bereits weitgehend erkennen, auf welchen Leitideen Dr. Ansari seine Arbeit stützt. Diese werden in einem weiteren Filmbeitrag klar erkennbar, da hier Dr. Ansari seine Erfahrungen und Überzeugungen ausführlich darlegt und darüber hinaus wichtige methodische und didaktische Hinweise gibt.
| Zum Nachdenken anregende Fragen aus der Lebenswelt der Kinder stellenKinder bringen ein großes Erkenntnispotential mit. Dieses wird aktiviert, indem man ihnen stimulierende Lernanlässe in einer anregenden Atmosphäre anbietet. Dr. Ansari setzt hierzu in erster Linie zum Nachdenken anregende Fragen aus ihrer Lebenswelt ein. Andere Lernanlässe, die zum Beispiel durch eine handlungs- und zielorientierte Aufgabe gegeben sein können, spielen in den Filmen eine untergeordnete Rolle. Die Lernanlässe und Lernmaterialien sind dabei so auszuwählen, dass sie das Interesse der Kinder wecken und die Kinder mit diesen Lernmaterialien auch etwas selbstständig erfahren und entdecken können. |
| Einen "sokratischen Dialog" führenFür einen erfolgreichen Lernprozess kommt es im weiteren Verlauf wesentlich darauf an, mit den Kindern einen Forscherdialog, man könnte auch sagen: einen "sokratischen Dialog" im Sinne von Martin Wagenschein, zu führen, der das Erleben der Kinder zum Gegenstand macht und ihnen das Gefühl gibt, dass sie und ihre Erfahrungen ein zentrales Anliegen der Erzieherin/des Erziehers sind. Dies spüren Kinder und unterstützt sie darin, ihr Potential zu entfalten, das heißt ihre Erfahrungen zu artikulieren, Überlegungen anzustellen, Ideen und Vermutungen zu entwickeln und vieles mehr. |
| Die Kinder führen die Untersuchungen selbst durchAlle im Forscherdialog von den Kindern vorgeschlagenen Untersuchungen führen sie selbst durch. So können sie ihre geäußerten Vermutungen selbst prüfen und die Ergebnisse diskutieren. Die Kinder erleben und stärken so ihre Fähigkeit, den Dingen aus eigener Kraft auf den Grund gehen zu können. |
Was bringen Kinder mit ...
"Gabe der reinen Anschauung"
Dr. Ansari stellt zunächst fest, dass Kinder die "Gabe der reinen Anschauung" haben, also etwas anschauen können, ohne befangen zu sein durch irgendwelche Erwartungen oder Vorstellungen der Erwachsenen. Sie sind dabei stets bezogen auf ihre Wirklichkeit und gehen immer von ihrer Erfahrungswelt aus. Wissenschaftliche Begriffe und Konzepte sind ihnen unbekannt und können sie daher nicht irritieren.
Kinder haben bereits vielfältiges (Vor-) Wissen und wesentliche Kompetenzen
Er zeigt weiterhin, dass Kinder bereits vielfältiges (Vor-) Wissen und wesentliche Kompetenzen mitbringen: Sie können vergleichen und Unterschiede feststellen, zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden, Vermutungen aufstellen, diskutieren und Überprüfungen vornehmen und vieles mehr. Sie denken logisch und können in gewissen Grenzen auch schon abstrahieren.
Das Spielen der Kinder hat einen hohen Stellenwert
Er betont, dass das Spielen der Kinder einen hohen Stellenwert hat und im Hinblick auf das Lernen nicht gering geschätzt werden darf: "Diese ganz konkrete Arbeit der Kinder ist zwar Spiel, aber der zentrale Punkt ist, dass sie durch das Spiel bestimmte Dinge (erst) begreifen lernen."
... was müssen sie lernen?
Man könnte fragen: Wenn Kinder bereits so viel mitbringen, was müssen sie dann noch lernen? Die Beispiele in den Filmen zeigen auch dies, unter anderem:
Kinder wollen neue Erfahrungen machen
Kinder wollen neue Erfahrungen machen und ihr vorhandenes Wissen ergänzen, mit den neuen Erfahrungen verbinden und Zusammenhänge verstehen.
Die Erfahrungen von Kindern stehen oft unverbunden nebeneinander
Zum Beispiel: Sie erkennen schnell, dass überall Luft im Raum ist, aber im leeren Glas ist für viele Kinder zunächst keine Luft. Das muss erst überprüft werden!
Kinder müssen Phänomene erleben, um sie deuten zu können
Kinder müssen erleben und dadurch erkennen, dass viele Phänomene nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden, zum Beispiel: Der luftgefüllte Luftballon fliegt davon, wenn er losgelassen wird, aber der wassergefüllte Luftballon fällt zu Boden.
Kinder lernen die Allgemeingültigkeit von Erfahrungen kennen
Kinder wollen wissen, wie allgemeingültig eine Erfahrung beziehungsweise eine Regel ist, zum Beispiel: Holz schwimmt. Aber schwimmt auch der schwere Holzschrank?
Kinder lernen, Ursache – Wirkungszusammenhänge zu erkennen
Zum Beispiel: Woher kommt es, dass sich die Blätter am Baum heute so heftig bewegen? Bewegen sich die Blätter von sich aus? Das muss erkundet werden!
Worauf müssen Erzieherinnen und Erzieher bei der Umsetzung achten?
| Der Forscherdialog sollte vorbereitet werdenNicht zu unterschätzen ist die Vorbereitung des Forscherdialogs mit Kindern. Die Erzieherinnen müssen sich vorher selber Gedanken über zwei wesentliche Aspekte gemacht haben: Welche Frage könnte Kinder interessieren und was könnten sie selber daran entdecken? Die Ausgangsfrage ist dabei entscheidend – alles andere bleibt mehr oder weniger offen und ergibt sich aus der Situation. |
| Auf die Fragetechnik achtenDie Fähigkeit, mit Kindern einen Dialog zu entwickeln und die richtigen Fragen stellen zu können, fällt vielen Erzieherinnen und Erziehern zunächst schwer. Die Tendenz, Aussagen der Kinder zu korrigieren und selbst die "richtige" Antwort zu geben, vermeidet Dr. Ansari wirkungsvoll durch eine Fragetechnik, die das Nachdenken und das Antworten-Finden immer wieder an die Kinder delegiert: "Wie denkst du?" oder: "Wie meinst du, wie könnte es sein?" und ähnliche kleine Fragen. Wichtig dabei ist, nicht ungeduldig zu werden, sondern den Kindern genügend Zeit zum Nachdenken zu lassen. |
| Belehrungen vermeidenWeiterhin soll nach Dr. Ansari jede Belehrung der Kinder vermieden werden: Wenn ein Kind fragt "Sag mal, warum ist das so?" dann fragt er zurück "Was meinst du?" Meist antwortet das Kind dann etwas, auf jeden Fall aber merkt das Kind unbewusst: "Aha, vielleicht kann ich das ja selber, es wird mir zugetraut." (Zitat aus der DVD). So kommt das Gespräch in Gang und Dr. Ansari entbindet sich so von der Pflicht der sogenannten Erklärung, die nichts bringt, da sie in der Regel Erfahrungen und/oder Konzepte einbezieht, die die Kinder nicht gemacht haben oder nicht kennen. Eine verbale Erklärung würde den Kindern daher verschlossen bleiben. |
Kurzinformationen
Fazit
Dr. Ansari zeigt in dieser Filmproduktion überzeugend, wie man das Denken von Kindern über Naturphänomene aus ihrer Lebenswelt anregen kann und so ihre naturwissenschaftlichen Fähigkeiten nachhaltig fördert. Seine Grundprinzipien und methodischen Vorschläge stützen sich auf die kognitiven Wissenschaften. Sie erscheinen fundiert, nachvollziehbar und beschränken sich auf wenige wesentliche Leitideen, die alle von den Möglichkeiten der Kinder her gedacht und elaboriert sind und nicht auf wissenschaftliche Begriffe und Strukturen schauen. Dies erleichtert den Zugang für alle, die keine naturwissenschaftliche Ausbildung haben und dennoch naturwissenschaftliche Aspekte mit Kindern erarbeiten wollen. Wer sich das Prinzip "Kinder selber etwas entdecken zu lassen" und die nötigen "Techniken des Fragenstellens" angeeignet hat, wird diese Vorgehensweise als Bereicherung für alle Beteiligten erleben. Die DVD kann daher ohne Einschränkung allen Kindertageseinrichtungen zur Anschaffung sehr empfohlen werden.
Informationen zum Autor
| Dr. Klaus Scheler ist Diplom-Physiker und Physikdidaktiker. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Physik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und betreut seit Jahren unter anderem die Ausbildung der Grundschulstudierenden im Sachunterricht. In Zusammenarbeit mit dem Klaus-Tschira-Kompetenzzentrum für frühe naturwissenschaftliche Bildung, das als Projekt der Klaus Tschira Stiftung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg angesiedelt ist ("Forscherstation", siehe Zusatzinformationen rechte Spalte), beschäftigt er sich seit einigen Jahren mit der Förderung von Kindern und ihren Bildungsprozessen im naturwissenschaftlichen Bereich. |