Handbuch Jungen-Pädagogik
Mit dem "Handbuch Jungen-Pädagogik" möchten die Herausgeber einen Beitrag leisten, die pädagogischen Bedürfnisse von Jungen herauszuarbeiten und eine entsprechend geschlechtsspezifische Pädagogik und Didaktik zu entwickeln.
Jungen im Fokus pädagogischer Aufmerksamkeit
Wir leben in einer Zeit, in der sich Männlichkeit neu definiert
Jungen sind in punkto Schulleistungen und Schulerfolg gegenüber den Mädchen ins Hintertreffen geraten. Was gemeinhin oft als "Krise der Jungs" bezeichnet wird, identifizieren die Herausgeber Dr. Michael Matzner und Prof. Dr. Wolfgang Tischner eingangs als eine Krise unserer Gesellschaft, die auf einer historisch beispiellosen Abwertung des Männlichen basiere. Betroffen, fast ein wenig ehrzimperlich wird konstatiert: "Für alles Schlechte in der Welt wird Männern neuerdings die Verantwortung zugeschoben." Die vorliegende Publikation adressieren sie "primär an pädagogische Praktiker, von denen es abhängt, ob Jungen künftig wieder eine faire Chance haben werden ...".
Geschlechtstypische Dispositionen - Jungen sind keine Mädchen
Vier Expertinnen und Experten aus der Evolutionstheorie, der Entwicklungspsychologie, der Hirnbiologie und der Soziologie stellen in den Grundlagenbeiträgen des ersten Abschnitts Ergebnisse aus ihren Fachgebieten vor und formulieren meist abschließend Empfehlungen für die pädagogische Praxis.
Bausteine für die Gestaltung eines geschlechtergerechten Bildungssystems
Eine Vielzahl wertvoller und vielschichtiger Einblicke in Kindergarten, Schule und Erziehungshilfe liefern die elf Autorenbeiträge im zweiten Teil. Im Kontext von BIBER hervorzuheben sind insbesondere die lesenswerten Beträge von Dr. Margarete Blank-Mathieu "Jungen im Kindergarten" und Dr. Tim Rohrmann "Jungen in der Grundschule". Dabei geht es um die Gestaltung der Erziehungsräume, die Einbeziehung der Eltern, mehr Akzeptanz für Gruppeninteressen und vieles mehr.
Unterstützung bei der Entwicklung der Geschlechtsidentität
Die zentralen Ziele einer Gesundheitsförderung und -bildung mit Jungen knüpfen sich an eine männliche Identitätsänderung, Jungen bedürfen besonderer Übungsfelder für gelungenes Sozialverhalten, Jungenförderung braucht eine unabhängige, eigenständige Jungenpolitik .... Der dritte Abschnitt greift pädagogische Einzelfragen auf, zeichnet die Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Fragestellung nach oder bettet ein in die jeweiligen Bezüge aus Grundlagenforschung und Statistik. Weiterhin werden Modelle guter Praxis vorgestellt und erläutert, Ziele formuliert und Handlungsempfehlungen adressiert. Dabei geht es im Einzelnen um die Themen:
| Gesundheit/Risikoverhalten |
| Sexualität |
| Erlebnispädagogik |
| Wettkampf, Sport und Raufen |
| Gewalt |
| Medien |
| Leseförderung |
| Väter |
| Geschlechterpolitik |
| Bildungsbenachteiligung im Zeichen von Gender Mainstreaming |
Schlussfolgerungen und der Ausblick der Herausgeber bilden den abschließenden Teil.
Kurzinformationen
Titel | Handbuch Jungen-Pädagogik |
Herausgeber | Michael Matzner und Wolfgang Tischner |
Verlag | Beltz Verlag |
Erscheinungsjahr | 2008 |
ISBN | 978-3-407-83163-7 |
Umfang | 413 Seiten |
Preis | 39,90 Euro |
Fazit
Der Band leistet wertvolle Pionierarbeit
Jungen benötigen eine Pädagogik, die ihren geschlechtsspezifischen Bedürfnissen gerecht wird. Für den Weg dahin liefert die vorliegende Publikation eine Vielzahl wertvoller Einblicke, Anregungen und Faktenwissen. Von dem verlagseitig formulierten Anspruch ein "Handbuch Jungen-Pädagogik" vorzulegen, das "alles (versammele), was Pädagogen heute für die Arbeit mit Jungen wissen müssen", rücken die Herausgeber eingangs zu recht ein gutes Stück ab: Von einer "ausgearbeiteten, anerkannten oder gar etablierten Pädagogik der Jungen" könne man derzeit keinesfalls sprechen, der Titel der vorliegenden Publikation sei vielmehr Programm.
Formale Inkonsequenzen
Auch formal vermisst man den Handbuchcharakter, es fehlen etwa ein Stichwortverzeichnis, eine Übersicht über die Gliederung der einzelnen Autorenbeiträge, ein Gesamtüberblick über die Referenzen. Zudem werden die Bezüge auf Ergebnisse der Grundlagenforschung wie auch auf Statistiken im Rahmen der Autorenbeiträge in Teil zwei und drei kontextspezifisch hergestellt. Was die einzelnen Beiträge verortet und einbettet, führt innerhalb der Gesamtpublikation gelegentlich zu (unkommentierten) Widersprüchen und Redundanz.
Unscharfe Verwendung des Gender-Begriffs
Gleichsam widersprüchlich stellt sich der dem "Handbuch Jungen-Pädagogik" zugrunde gelegte Gender-Ansatz dar. Während einige der Autorinnen und Autoren die Rollenanforderungen einer globalisierten Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft zum Maßstab nehmen, andere die Strategie des Gender Mainstreaming zitieren, die auf die Wahrnehmung der individuellen Vielfalt setzt, poltern schließlich die Herausgeber ziemlich drauflos und wenden sich gegen eine Pädagogik, in der "egalisierende und Geschlechter nivellierende, sich von der Gendertheorie herleitende Bestrebungen dominieren". Man lese dies als Symptom oder programmatischen Impuls. Von den 26 Autorinnen und Autoren sind diesenfalls fünf weiblichen und 21 männlichen Geschlechts.
Informationen zur Autorin
| Dr. Imke Troltenier ist freie Journalistin, Beraterin in Gender-Fragen und zuständig für die wissenschaftliche Begleitung zahlreicher Projekte im Kontext von Gender Mainstreaming. Als Wissenschaftlerin, Dozentin, Online-Redakteurin und Trainerin ist sie in wechselnden Teams und Kooperationen seit 1984 in diesem Themenfeld aktiv, verfügt über langjährige Praxiserfahrung im internationalen Projektmanagement und im Bereich der entsprechenden Politikfelder und Förderprogramme. |