KerleKulte - Inszenierung von Männlichkeit
Ein Buch voller O-Töne aus dem Leben von Jungen und Männern: 16 Studierende der Sozialen Arbeit der Hochschule Esslingen führten als Projektgruppe Mannopoly Interviews zum Thema Männlichkeit - auf der Straße, in der Musikszene, im Gefängnis. Rund 60 Gespräche sind in dem Werk dokumentiert.
Wer Männlichkeit für sich reklamieren möchte, der muss sie tagtäglich unter Beweis stellen. "Reproduzieren" heißt dies in der Fachsprache oder auch "Doing Gender". Doch wer oder was zwingt "einen Kerl" eigentlich dazu? Was genau gilt es unter Beweis zu stellen? Welche Ausdrucksformen, Wertungen, Handlungsorte, Attribute und Symbole werden dazu gewählt? Die umfangreiche Neuerscheinung gibt Einblicke in die faszinierende Vielfalt des Junge- und Mannseins in unserer heutigen Zeit.
Maskulinität als Produkt
Einstieg ins Thema
"Männlichkeit hat keinen Bestand, wenn wir sie nicht herstellen ..." - im Rahmen seiner Einleitung führt Prof. Dr. Kurt Möller auf differenzierte Weise ins Thema ein. Er nennt die Palette der möglichen biologischen Faktoren für die Geschlechtsentwicklung, zeigt soziale, psychische und die sexuelle Orientierung betreffende Kriterien für die Geschlechtsidentität auf und geht zugleich darüber hinaus.
Keine Frage der Biologie
Denn Mannhaftigkeit ist primär keine Frage der Biologie, sondern eng geknüpft an das Bestreben, einem kulturellen Leitmuster zu entsprechen. Dabei seien im Ensemble der "männlichen" Eigenschaften die Kernbestandteile vielfach historisch verwurzelt und traditionell verankert: "Kerle wollen Kerle bleiben - oder werden. Was ein Kerl ist, bestimmen sie allerdings nicht selber. [...] Mehr oder minder sind sie darauf angewiesen, Kerlsein attestiert zu bekommen - von Mädchen und Frauen, aber eigentlich noch mehr von anderen Männern bzw. Jungs."
Kerle unter sich
Zugleich würde, allen geschlechtsinternen Rangkämpfen zum Trotz, die Gelegenheit, sich weiblichen Bewertungen zu entziehen und als Kerl auch einmal nur unter Kerlen zu sein, vielfach als ein Stück Freiheit erlebt.
Mannopoly als "ernstes Spiel"
Die "Spielstationen"
In Anlehnung an das ähnlich lautende Gesellschaftsspiel hat die Projektgruppe Mannopoly die Orte für ihre Recherchen gezielt ausgewählt: "Aufm Kiez", "Südbahnhof", "Corporalienmarkt", "Gefängnis", "St. Mannfried". Der Fokus der 15 gleichnamigen Kapitel erschließt sich hin und wieder erst beim Lesen.
Bunt gemischte Gruppe der "Mitspieler"
Die meisten befragten "Kerle" bewegen sich im Schnitt in der Altersspanne zwischen 18 und 27 Jahren. Die Hauptschüler Umut und Alihan zählen mit ihren 12 Jahren zu den jüngsten, "Großvater" Paul ist mit 87 Jahren der älteste. Eine Vielzahl von schönen, eindrücklichen Fotos zeigt die befragten Jungen und Männer in ihrem Umfeld. Die Befragungen erfolgten mal in Gruppen, mal im Zwiegespräch. Sie sind in jedem Fall individuell angelegt, wirken spontan, lebendig und offen.
Inszenierung von Männlichkeit
Macker, Machos, Mamasöhnchen ...?
Ja, auch Klischees werden in vielerlei Facetten auf altbekannte wie neue Weisen bedient. Und doch gibt es die Themen und Statements, die sich auf bemerkenswerte Weise davon absetzen, bei denen Gefühle eine Rolle spielen, in denen man sich mit Ironie selbst auf die Schippe nimmt, die von generationenübergreifender Zusammenarbeit zeugen oder um mehr Akzeptanz und Verständnis für traditionsferne, selbst entwickelte Wege werben.
Das Projektteam: 13 Frauen und drei Männer
Wer im Einzelfall das "Kerlsein" dokumentierte und gegebenenfalls gemäß der eigenen Geschlechterrolle hinterfragte, attestierte oder gar als "schmeichelnder Spiegel" (Zitat: Virginia Woolf, in der Einführung zitiert von Prof. Dr. Kurt Möller) forcierte - die Projektgruppe Mannopoly setzte sich aus 13 Frauen und drei Männern zusammen - bleibt jedoch ungeklärt.
Mal Realität, mal Wunschvorstellung
Realitäts- und lebensnah führt die Projektgruppe im Vorwort aus: "Mannopoly, so nennen wir das "ernste Spiel", das wir dabei treiben: Wir begeben uns in die "Stadt der (jungen) Männer" [...]. Sie erzählen von ihrem Leben, von ihren Interessen, Vorstellungen, Sehnsüchten. Wie viel davon die Realität wiedergibt, wie oft auch mal geflunkert wird - wer weiß das schon genau?".
Forschung und Beratung
Das Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. jedenfalls sammelt beides: authentische Zeugnisse aus den Jugendkulturen wie auch wissenschaftliche Arbeiten. Es betreibt zudem eine umfangreiche Jugendforschung und bietet Beratung an (www.jugendkulturen.de).
Kurzinformationen
Titel | KerleKulte - Inszenierung von Männlichkeit |
Autor/innen | Projektgruppe Mannopoly |
Herausgeber | Archiv der Jugendkulturen e.V., Berlin |
Verlag | Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin |
Erscheinungsjahr | 2012; 1. Auflage Februar 2012 |
Umfang | 391 Seiten (Hardcover) |
Preis | 26,00 € |
ISBN | 978-3-940213-70-9 |
E-Book | Auch als E-Book erhältlich: Preis: 19,99 €, ISBN ePub: 9783943612370 |
Fazit
In diesem Werk steckt bemerkenswertes Engagement. 13 Studentinnen und drei Studenten der Sozialen Arbeit an der Hochschule Esslingen zogen aus, um Kulte von "Kerlen" über ein Dreivierteljahr hinweg zu recherchieren und zu dokumentieren. Durchweg gelungen sind die unverblümt und wahrhaft wirkenden Einblicke in Mannhaftigkeit und männliches Bemühen um die Darstellungen derselben. Intensiv, fesselnd und vielschichtig wird das Buch durch die gebotene Vielfalt, die den differenzierten Ansatz der theorieorientierten Einleitung praxisnah unterstreicht. Kreativ illustriert lässt es die jungen Kerle und Männer als interessante Zeitgenossen zu Wort kommen, bietet zahlreiche Denkanstöße, Momente zum Schmunzeln und jede Menge Diskussionsstoff. An vielen Stellen werden weiterführende Informationen angeboten. Eine kostenlose Leseprobe steht unter http://shop.jugendkulturen.de/222-kerlekulte-inszenierung-von-mannlichkeit.html zum Download bereit.
Informationen zur Autorin
| Dr. Imke Troltenier ist freie Journalistin, Beraterin in Gender-Fragen und zuständig für die wissenschaftliche Begleitung zahlreicher Projekte im Kontext von Gender Mainstreaming. Als Wissenschaftlerin, Dozentin, Online-Redakteurin und Trainerin ist sie in wechselnden Teams und Kooperationen seit 1984 in diesem Themenfeld aktiv, verfügt über langjährige Praxiserfahrung im internationalen Projektmanagement und im Bereich der entsprechenden Politikfelder und Förderprogramme. |