Mein "Kulturschock"
Auch schwedische Kinder machen nicht immer was sie sollen. Dafür sind sie einfühlsam und haben einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn.
Verschiedene Besonderheiten fielen mir im Laufe meines Praktikums auf. Mir ist jedoch noch immer nicht klar, ob sie in dem pädagogischen Konzept nach den Ideen Célestin Freinets oder in der schwedischen Kultur begründet liegen. Denn manchmal habe ich mich schon sehr "deutsch" gefühlt: Wenn die Kinder beispielsweise morgens mit zwei verschiedenen Socken in die Einrichtung kamen und diese nachmittags mit zwei anderen, ebenfalls unterschiedlichen Strümpfen wieder verließen, spukten mir Wörter wie "Disziplin" und "Ordnung" im Kopf herum. Manchmal fiel es mir schwer, Verständnis dafür aufzubringen, dass bei der morgendlichen Begrüßungsrunde "nicht mal fünf Minuten Ruhe herrschen" konnten und bei den Mahlzeiten "eine tierische Sauerei veranstaltet" wurde. Nach Gesprächen mit deutschen Erzieherinnen weiß ich aber, dass dieses Verhalten ganz normal ist – auch in Deutschland.
Pädagogische Prinzipien und Erziehungsstil
Kreativität gibt den Ton an
Ich machte jedoch auch Beobachtungen, deren Konsequenzen für die Entwicklung der Kinder ich für viel wichtiger erachte: Sie legten häufig eine ausgeprägte Kreativität an den Tag. Nach der ersten Woche entschloss ich mich beispielsweise, ein kleines Projekt mit der Gruppe durchzuführen, um meine pädagogischen Fähigkeiten zu erproben. Zu dem Thema "Die fünf Sinne" überlegte ich mir einige Spiele, die unterschiedlich großen Aufwand erforderten und größtenteils gut bei den Kindern ankamen. Auch meine Kolleginnen waren von der Idee begeistert und unterstützten mich bei der Vorbereitung und Durchführung der Aktionen. Ich war überrascht, dass die Kinder die Spielregeln nicht verstanden oder, was wahrscheinlicher ist, zum eigenen Gefallen modifizierten. Beim "Blinde Kuh"-Spiel wurde vorgesagt, beim Düfte-Raten durch die Augenbinde geblinzelt. Offenbar sind es die Kinder gewohnt, vorgegebene Regeln zu hinterfragen und eigene aufzustellen.
Typisch Schwedisch oder typisch Freinet?
Dass pädagogische Fachkräfte und Eltern in Schweden weniger Wert auf "Zucht und Ordnung" legen als in Deutschland und Erziehung eher gelassen angehen, habe ich schon von Freundinnen gehört, die bereits als Babysitterinnen oder Aushilfslehrerinnen in Schweden gearbeitet hatten. Möglicherweise ist der Grund für das sehr freie Verhalten der Kinder aber auch im Freinet-Konzept zu suchen; schließlich fußt dies eher auf Kreativität und Experimentierfreude als auf Leistungszwang und Kompetenztraining.
Soziales Miteinander wird groß geschrieben
Die Kinder legten eine große Reife im Umgang mit Gleichaltrigen an den Tag. Konflikte wurden durch Gespräche gelöst, Entscheidungen in der Gemeinschaft getroffen. Meine Kolleginnen führten Abstimmungen durch und machten stets transparent, auf welcher Grundlage sie ihre Entscheidungen trafen. Darüber hinaus wurde während meines Aufenthaltes jeden Tag, im Rahmen einer "kompissamling" (Freunde-Versammlung), ein Kind in einen anderen Raum geschickt, während alle anderen sagen durften, welche Eigenschaften sie an ihm schätzten. Die Aussagen wurden notiert und dem Kind anschließend vorgelesen. Es war schön zu hören, dass jedes Kind zu allen Kindern etwas Nettes zu sagen wusste. Vor Antritt des Praktikums hatte ich in Fachbüchern gelesen, dass Kinder, bei denen ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom diagnostiziert wurde, häufig von der Gruppe ausgeschlossen werden. Die "Haie" jedoch bezogen Kinder mit auffälligen Verhaltensweisen stets in ihr Spiel mit ein und verziehen ihnen störendes Verhalten umgehend.
Der Abschied
Ich kam zu dem Schluss, dass die Selbstständigkeit, Rücksichtnahme und Kreativität der Kinder mehr wogen als fleckenlose T-Shirts nach dem Essen. Dies wurde mir insbesondere bei dem herzlichen Abschied bewusst, bei dem mich Kinder und Kolleginnen nach vier gemeinsamen Wochen persönlich beschenkten und mir zeigten, wie viel wir einander geben konnten – Socken hin oder her.
Mein Fazit
Ich bin froh, noch während meines Studiums dieses Praktikum absolviert zu haben, denn später in Berufsleben ist man weniger flexibel. Die Möglichkeit eines Auslandspraktikums stellt eine praxisnahe Abwechslung zum Uni-Alltag dar und war für mich eine unvergessliche Erfahrung.
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