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Kinder suchen Sinn, Wahrheit und Glück

Was ist Glück? Wie wird Sinn vermittelt? Das Buch der Erziehungswissenschaftlerin und Familientherapeutin Barbara Lutz und Tassilo Knauf, Professor für Elementarerziehung und Primarstufenpädagogik, geht über einfache Beschreibungen und Patentrezepte für ein glückliches Leben hinaus.

Sein Glück zu finden scheint gar nicht so schwer zu sein: Zahlreiche Ratgeberbücher sind in den letzten Jahren zum Thema erschienen, und nicht selten waren diese Titel Kassenschlager. Dieser kommerzielle Erfolg kommt nicht von ungefähr, denn es scheint so, dass es gerade in unsicheren Zeiten ein Bedürfnis nach Werten gibt, die Orientierung versprechen und den Weg zu einem erfüllten Leben weisen. Allerdings erschöpfen sich viele dieser Bücher in Platitüden und bloßer Rhetorik. Das vorliegende Buch ist da anders: Einerseits rückt es das Kind in den Mittelpunkt, andererseits weist es eine profunde Auseinandersetzung mit dem Komplex auf: Aus verschiedenen Perspektiven, unter Einbeziehung von Erkenntnissen aus Philosophie, Biologie und den Neurowissenschaften gehen die Autoren der Frage nach, was eine gegenwartsorientierte Pädagogik bieten kann, damit Kinder Sinn, Wahrheit und Glück finden.

PISA und Globalisierung

Geprägt durch die PISA-Studien und die Globalisierung ist in den letzten Jahren die frühkindliche Bildung zu einem zentralen Thema geworden. Mit dieser Aufwertung ging einher, dass sich neue Anforderungen an die pädagogische Arbeit im Elementarbereich heraus gebildet haben. Bildungs- und Erziehungspläne formulieren diese neuen Bildungskonzepte. Ohne den Sinn frühkindlicher Bildung generell in Abrede zu stellen, hinterfragen die Autorin und der Autor ein Bildungssystem, das weitgehend auf zukünftige Chancen in der Arbeits- und Lebenswelt der Kinder ausgerichtet ist und Bildungsinhalte vorrangig unter gesellschaftlichen und ökonomischen Verwertungsaspekten betrachtet.

Humboldt und Reformpädagogen

Barbara Lutz und Tassilo Knauf sehen sich in der Tradition von Humboldt und den Reformpädagogen des 20. Jahrhunderts und deren Grundauffassung, dass die Aufgabe der Pädagogik darin besteht, "Kinder auf dem Weg zu einem eigenständigen, glücklichen Leben und zur kulturell-gesellschaftlichen Mitgestaltung unserer Welt zu begleiten" (S. 7). Dass dieser Anspruch nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, sondern konkret in der alltäglichen Praxis und handlungsorientiert im Hier und Jetzt eingelöst werden muss, liegt für die beiden Autoren auf der Hand: "Ein Bildungskonzept, das Lebensglück und ein gutes Leben für Menschen anstrebt, kommt nicht umhin festzustellen, dass man nur in der Gegenwart und nicht in der Zukunft leben kann" (S. 52).

Grundlegendes – Wünsche, Ethik, Moral, Zeit und vieles mehr

Wie kann Pädagogik die Weichen für ein sinnerfülltes Leben stellen?

Was alles dazu beiträgt, damit pädagogisches Handeln ein gutes sinnerfülltes Leben in der Gegenwart bewirkt, wird an der Auseinandersetzung mit zahlreichen grundlegenden Themen deutlich gemacht. So geht es zum Beispiel um das Zusammenspiel von Wünschen und Glück: Führt die Erfüllung aller Wünsche automatisch zum Glücklichsein? Ein anderes Beispiel ist das prekäre Verhältnis von individuellem Glücksstreben und der Einordnung in eine Gemeinschaft. Hier setzen sich die Autorin und der Autor ausführlich und kritisch mit der sozialphilosophischen Strömung des Kommunitarismus auseinander, die mit dem Appell "Mehr Mut zur Moral" das öffentliche ethische Bewusstsein und die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen stärken möchte (S. 22).

Alltägliche Moral, verwirklichte Gleichheit

Unter dem Oberthema "Zugänge zu gutem Leben" beschäftigen sich Lutz und Knauf mit Ethik und Moral im Alltag sowie mit Religion und Spiritualität. Des weiteren hinterfragen sie Kriterien der Gerechtigkeit und bewerten dabei die "egalitaristische Glücksdebatte" als "einen Entwurf von Gerechtigkeit, der ein Prinzip von Gleichheit mit einem Wohlfahrtsprinzip verbindet" (S. 33).

Facettenreiche Auffächerung eines komplexen Themas

"Zum Umgang mit eigener und fremder Lebenszeit" lautet ein weiterer Schwerpunkt, der deutlich macht, wie Zeitdruck und Zeitrhythmen der modernen Gesellschaft pädagogisches Handeln prägen. Im Abschnitt "Vom Glück ungestörter Zeit" werden schließlich Möglichkeiten eines bewussten Zeitumgangs aufgezeigt. Weiterhin geht es in dem facettenreichen Buch um Gewissensbildung, die Bedeutung von Spontaneität in der pädagogischen Arbeit, den Einsatz von Fachwissen, um Körperwahrnehmung und Körpersprache sowie um gelungene Lernatmosphären und die Bedeutung des Argumentierens.

Kurzinformationen

TitelKinder suchen Sinn, Wahrheit und Glück. Was kann eine gegenwartsorientierte Pädagogik bieten?
AutorenDr. Barbara Lutz und Dr. Tassilo Knauf
FotografienIlka-Cordula Felcht
VerlagCornelsen Scriptor
ISBN978-3-589-24644-1
Preis16,95 €

Fazit

Barbara Lutz und Tassilo Knauf regen mit ihrem philosophisch und pädagogisch begründeten Plädoyer für eine gegenwartsorientierte Pädagogik zum Nachdenken an. Sie stellen frühkindliche Bildung nicht generell in Frage, sondern richten einen kritischen Blick auf den gegenwärtigen Bildungsbegriff, rücken vernachlässigte – wesentliche – Aspekte wieder in den Mittelpunkt und setzen neue Akzente in der Debatte um Bildung und Erziehung. Die ansprechenden Fotos von Ilka-Cordula Fecht mit berührenden Momentaufnahmen von Kindern unterstützen die vielschichtigen Inhalte des Buchs auf überzeugende Weise.

Information zur Autorin

Doris Schalles-Öttl
ist Diplom-Pädagogin und Medienpädagogin. Sie arbeitet als Dozentin für Medienpädagogik an der Katholischen Fachakademie für Sozialpädagogik, München, und ist freiberuflich tätig, unter anderem für Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V.