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Qualität und Quantität erhöhen

Der Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige schreitet weiter voran. Doch ob die Ziele bis 2013 erreicht werden, hängt von der Finanzkraft der Kommunen, der Deckung des Personalbedarfs und den Vorstellungen der Eltern ab. Kritiker mahnen, das Angebot nicht auf Kosten der Qualität zu erweitern.

Die Ausbaupläne der Bundesregierung

In den Ausbau der Betreuung für Kleinkinder ist in den vergangenen Jahren reichlich Bewegung gekommen. Auf einem sogenannten "Kita-Gipfel" haben Bund, Länder und Kommunen 2007 beschlossen, dass bis zum Jahr 2013 bundesweit für 35 Prozent der Kinder im Alter von unter drei Jahren Betreuungsplätze geschaffen werden sollen. 30 Prozent dieser Plätze sollen durch Tagesmütter und -väter abgedeckt werden, der Rest über Kitas beziehungsweise Krippen. Das entspricht einer absoluten Zielmarke von insgesamt 750.000 Betreuungsplätzen. Ab dem 1. August 2013 erhalten Eltern dann einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder vom vollendeten ersten Lebensjahr an. Geregelt wird der Ausbau im Kinderförderungsgesetz, das am 16. Dezember 2008 in Kraft getreten ist. An den Kosten des Ausbaus beteiligt sich der Bund bis 2013 mit 2,15 Milliarden Euro, Länder und Kommunen geben 1,85 Milliarden Euro dazu.

Riesige regionale Unterschiede

Besonders im Westen der Republik muss das Betreuungsangebot allerdings noch deutlich schneller steigen, um die politischen Ziele zu erfüllen. 2010 wurden in Deutschland rund 23 Prozent der unter Dreijährigen in Kindertageseinrichtungen betreut. Absolut waren es 472.000 Kinder – etwa 55.000 mehr als im Jahr zuvor. Dabei ist der Versorgungsgrad im Bundesvergleich äußerst ungleich: Die Betreuungsquote liegt in Ostdeutschland mit rund 48 Prozent fast dreimal so hoch wie in Westdeutschland mit etwa 17 Prozent. Und auch regional sind die Unterschiede immens: So sind etwa die Betreuungsquoten in Universitäts- und Großstädten in der alten Bundesrepublik deutlich höher als in ländlichen Regionen.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Kritiker sehen ein Grundproblem der Ausbaupläne darin, dass deren konkrete Umsetzung den Kommunen vor Ort obliegt. "Letztlich hängen die Entwicklungschancen von Kindern bei uns bis zum Schuleintritt von der Finanzkraft einer Kommune und dem Familienbild des Bürgermeisters ab", sagt Dr. Ilse Wehrmann. Die frühere Erzieherin arbeitet heute als Beraterin für frühpädagogische Praxis und hat für Daimler, RWE und die Deutsche Telekom Betriebskrippen und -kitas aufgebaut. "Der Ausbau der Betreuungseinrichtungen muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein", fordert sie. Die Politik müsse dabei die Rahmenbedingungen vorgeben. Ein durchgängiges, über einen Staatsvertrag geregeltes Bildungssystem mit einheitlichen Standards und Zuständigkeiten vom Krippenalter an, das wünscht sie sich. Denn Wehrmann befürchtet, dass angesichts des Zeitdrucks beim derzeitigen Ausbau nur auf Quantität gesetzt wird und niemand nach der Qualität der Betreuungseinrichtungen fragt. Frei nach dem Motto: Wenn den Kindern regelmäßig die Windeln gewechselt und sie gefüttert werden, ist die Aufgabe der Krippen schon erledigt.

Hoher Personalbedarf in den Einrichtungen

"Kinderkrippen sind keine Stundenhotels oder Verwahrungsanstalten, sondern Bildungseinrichtungen", bekräftigt Ilse Wehrmann. Qualität fange bereits bei den Erzieherinnen und Erziehern an. Berechnungen der Zeitschrift "Komdat" zufolge ergibt sich im U3-Bereich allein für Westdeutschland bis zum Stichjahr 2013 ein zusätzlicher Personalbedarf von etwa 54.000 Fachkräften in Kindertageseinrichtungen. Bis 2025 würden demnach weitere 34.000 Fachkräfte gebraucht. Ilse Wehrmann befürchtet angesichts der zu erwartenden Personalnot, dass bei der Qualifikation der neu eingestellten Erzieherinnen und Erzieher nicht so genau hingeschaut werden könnte: "Im Krankenhaus würde niemand darauf kommen, unausgebildete Leute operieren zu lassen. Aber bei Kleinkindern denkt man, man könnte das machen."

Professionelle Ausbildung erforderlich

Auch Gerwald Wallnöfer, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Bozen, fordert, dass der Ausbau mit einer Professionalisierung des Personals einhergehen müsse. Gerade die im Kleinkinderbereich essentiell wichtige Beobachtungsgabe und Pflegekompetenz werde in der deutschen Erzieherausbildung kaum geschult. Kleinkinder bräuchten aber ein Umfeld, in dem sie sich sozial, emotional und körperlich wohlfühlen und gut entwickeln können. "Die ersten Jahre sind entscheidend für die Bildungsbiografie, also für das ganze Leben. Deshalb brauchen wir für die Kleinsten die bestausgebildetsten Pädagogen", fordert Wallnöfer. Doch verpflichtende Fortbildungen wie sie etwa bei Theologen in den ersten beiden Dienstjahren existieren, gibt es für deutsche Pädagoginnen und Pädagogen nicht. "Für den Transfer von der Theorie in die Praxis haben wir beim Beobachtungsverfahren kein System und keine Kultur", beklagt Ilse Wehrmann. Sie mahnt daher, die Erzieherinnen und Erzieher mit ihren Aufgaben nicht allein zu lassen.

Finanzierung oftmals unsicher

Allein gelassen mit den Kosten des Ausbaus fühlen sich wiederum die Kommunen. Der erhöhte Personal- und Raumbedarf stellt sie vor große finanzielle Herausforderungen. Vielerorts regiert schon lange der Rotstift, die Kassen der Städte und Gemeinden sind leer. In einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein streiten sich Kommunen und Landesregierungen deshalb noch, wer die weiterhin benötigte Infrastruktur eigentlich bezahlen soll. Denn der Bundeszuschuss von vier Milliarden Euro ist bereits aufgebraucht – und die Kommunen befürchten, auf ihren Investitionen sitzen zu bleiben, falls die Länder ihren Anteil nicht wie versprochen leisten.

Elternwunsch und Wirklichkeit

Und noch etwas bereitet den Kommunen Sorge: der Anspruch und die Nachfrage der Eltern. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund befürchtet, dass der Ansturm auf die Betreuungsplätze deutlich heftiger ausfallen könnte als kalkuliert. Einer Studie des Deutschen Jugendinstituts zufolge ist der Betreuungsbedarf von Eltern mit Kindern unter vier Jahren seit 2005 tatsächlich von 35 Prozent auf 39 Prozent gestiegen. Zudem hat die Studie gezeigt, dass die Nachfrage in dem Maße steigt, in dem Eltern in einer Region bereits eine öffentliche Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Je weiter ausgebaut wird, desto größer werden also auch die Ansprüche werden. Zukünftig werden Eltern es sich nicht mehr gefallen lassen müssen, ihr Kind wie heute vielerorts bereits für einen Krippenplatz anmelden zu müssen, bevor es überhaupt auf der Welt ist, nur um dann trotzdem auf Wartelisten zu versauern. Mit dem Rechtsanspruch ab 2013 könnte eine Klagewelle der Eltern auf die Kommunen zurollen. Für Ilse Wehrmann hätte das jedoch auch eine positive Seite: "Ich bin froh, dass sechs Wochen nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs die nächste Bundestagswahl stattfindet. So wird das Thema frühkindliche Bildung zum Wahlkampfthema und damit endlich zum Politikum werden!"

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