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"Die Quoten werden steigen"

Katrin Hüsken ist Autorin der Studie "Kita vor Ort. Betreuungsatlas auf Ebene der Jugendamtsbezirke 2010" vom Deutschen Jugendinstitut (DJI). Im Gespräch mit BIBER erläutert sie die Unterschiede im Bedarf und Ausbauniveau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige in Deutschland.

BIBER: Frau Hüsken, bis 2013 soll die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren auf 750.000 gesteigert werden. Geht der tatsächliche Ausbau der Kinderbetreuung in Deutschland damit überein oder hinkt er den politischen Zielen hinterher?

Katrin Hüsken: In Deutschland wurden 2010 ungefähr 472.000 Kinder unter drei Jahren in öffentlichen Einrichtungen betreut. Um das Ziel von 750.000 Plätzen zu erreichen, muss die Dynamik vor allem in Westdeutschland noch deutlich gesteigert werden.

BIBER: Gibt es immer noch das klassische Ost-West-Gefälle?

Hüsken: Ja, das Ost-West-Gefälle hat sich bislang kaum verringert. In Ostdeutschland wird knapp die Hälfte der Kinder unter drei Jahren öffentlich betreut – natürlich auch dank der DDR-Tradition. Im Westen ist das Niveau mit 17,5 Prozent dagegen deutlich geringer. Nur in Universitäts- und Großstädten und deren Umland sieht es besser aus. Es gibt jedoch nur ein einziges Jugendamt, das an die ostdeutsche Quote heranreicht, und das ist in Heidelberg.

BIBER: Wie wird das Angebot überwiegend ausgebaut?

Hüsken: In den meisten Bundesländern steht die Schaffung neuer Plätze in Kindertageseinrichtungen – sei es durch Neubau oder Erweiterung – im Vordergrund. Die Schaffung von Plätzen für unter Dreijährige durch die Öffnung von Kindergärten tritt demgegenüber immer mehr in den Hintergrund. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es noch Jugendämter, die die Mehrzahl der Plätze seit 2007 auf diese Weise geschaffen haben. In Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ist zusätzlich ein großflächiger Ausbau der Kindertagespflege zu beobachten.

BIBER: Welche regionalen Unterschiede haben Einfluss auf die Anzahl der Krippenplätze?

Hüsken: In Westdeutschland spielen hauptsächlich die Bedingungen auf dem regionalen Arbeitsmarkt eine Rolle. Mit dem Anteil erwerbstätiger Mütter steigt auch der Bedarf an Betreuungsplätzen. Andere positive Einflussfaktoren sind das Bruttoinlandsprodukt als Anzeichen für regionalen Wohlstand und der Anteil Hochqualifizierter in der Bevölkerung. Zudem gibt es mehr Betreuungsplätze in Kernstädten und dem verdichteten Umland als in ländlichen Räumen – was natürlich wieder mit den Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zusammenhängt. In Ostdeutschland sind dagegen nur zwei Faktoren relevant: der Anteil weiblicher Erwerbstätiger und die Lage im ländlichen Umland. Das lässt sich auf die besonders hohe Betreuungsquote in  Sachsen-Anhalt zurückführen, das zum größten Teil zum ländlichen Umland gehört.

BIBER: Welche Gründe gibt es dafür, dass Sachsen-Anhalt bundesweit Spitze ist?

Hüsken: Sachsen-Anhalt ist das einzige Bundesland, in dem es schon seit mehreren Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab der Geburt gibt. Außerdem waren viele jetzige Eltern dort selbst einmal in einer Krippe. Diese sind also in der Bevölkerung eher akzeptiert.

BIBER: Denken Sie, dass der Rechtsanspruch ab 2013 auch bundesweit zu erheblich höheren Betreuungsquoten führen wird?

Hüsken: Ich gehe davon aus, dass die Quoten steigen werden. Zum einen steigt die Akzeptanz in der Bevölkerung. Zum anderen konnten wir zeigen, dass der Betreuungswunsch der Eltern sehr stark von der Betreuungsquote im Kreis abhängt. Das heißt, je mehr Eltern wunschgemäß einen Krippenplatz bekommen, desto mehr Eltern wünschen sich wiederum einen Betreuungsplatz für ihre Kinder.

BIBER: Welche Faktoren haben noch Einfluss darauf, ob Eltern eine Kinderbetreuung wünschen?

Hüsken: Neben der Betreuungsquote als regionaler Faktor sind dies vor allem familiäre. Sind beide Eltern erwerbstätig oder ist der oder die Alleinerziehende erwerbstätig, dann steigt der Wunsch nach Betreuung von unter Dreijährigen. Auch der Bildungshintergrund und die Sprachpraxis sind wichtig: Eltern, die eine Fachhochschule oder eine Hochschule abgeschlossen haben, wollen genauso verstärkt Krippenplätze in Anspruch nehmen wie Familien, in denen zwei Sprachen gleichrangig gesprochen werden.

BIBER: Verändert sich der Wunsch mit dem Alter des Kindes?

Hüsken: Ja, Eltern mit Kindern unter einem Jahr äußern am häufigsten einen Betreuungswunsch. Mit zunehmendem Alter des Kindes nimmt der Wunsch nach einer Betreuung für unter Dreijährige ab. Ich denke, das ist eine Anpassung an die Realität. Irgendwann denken die Eltern dann: Wir haben es ja auch so geschafft.

BIBER: Wollen wirklich die meisten Eltern eine ganztägige Betreuung ihrer Kinder?

Hüsken: Von den von uns befragten Eltern haben sich mehr als die Hälfte eine Betreuung zwischen 20 und 30 Stunden in der Woche gewünscht. Leider wurde nicht abgefragt, ob sie das Kind nur an bestimmten Tagen in die Krippe bringen wollen oder täglich je für fünf bis sechs Stunden. Auf jeden Fall besteht da ein großer Widerspruch zu den statistischen Ganztagsbetreuungsquoten. In Westdeutschland wünschen sich nur elf bis 13 Prozent der Eltern eine Betreuung von mehr als 30 Stunden in der Woche für ein ein- bzw. zweijähriges Kind, im Osten sind es 21 bis 29 Prozent. Dem Statistischen Bundesamt zufolge betrug die Ganztagsbetreuung 2010 für Kinder unter drei Jahren in Westdeutschland jedoch 39, in Ostdeutschland 72 Prozent.

BIBER: Passen Angebot und Nachfrage demnach nicht zusammen?

Hüsken: Man hört von Eltern relativ häufig, dass sie Halbtagsplätze suchen – und nur Ganztagsplätze angeboten bekommen. Aber das ist auch schwierig für die Einrichtungen: Die Räume müssen gestellt und die Erzieher bezahlt werden. Außerdem soll ja auch die Kontinuität in der Betreuung sichergestellt werden. Das kann man schon einfacher ganztags regeln.

BIBER: Alle Indikatoren, die Sie bislang genannt haben, scheinen dafür zu sprechen, dass vor allem Eliten beziehungsweise Eltern, die beide berufstätig sind, Krippen in Anspruch nehmen. Wie sieht es aber bei Kindern mit Benachteiligungen aus – etwa bei Kindern mit Migrationshintergrund?

Hüsken: Kinder unter drei Jahren mit Migrationshintergrund, die auch eine nichtdeutsche Familiensprache haben, finden sich besonders selten in öffentlicher Betreuung. In Ostdeutschland stellen sie gerade einmal einen Anteil von 1,3 Prozent in den Einrichtungen, im Westen 11,3 Prozent. Das mag gerade in Ostdeutschland an dem geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung liegen. Allerdings zeigt sich, dass der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in späteren Altersgruppen prozentual deutlich höher liegt. Also haben Kinder mit Migrationshintergrund vom Platzausbau im U3-Bereich nicht profitiert. Sie sind in den Einrichtungen unterrepräsentiert.

BIBER: Welche Gründe kann das haben?

Hüsken: Möglicherweise hält die Sprachbarriere die Eltern davon ab, ihre Kinder in die Einrichtungen zu geben. Gerade im Bereich U3 sind das Vertrauensverhältnis und der Austausch zwischen Eltern und Erziehern äußerst wichtig. Und der wird natürlich erschwert, wenn nur Deutsch gesprochen wird. Andererseits sehen wir auch Tendenzen zur Segregation: In Westdeutschland besucht knapp ein Drittel der Kinder mit Migrationshintergrund und nichtdeutscher Muttersprache eine Einrichtung, in der mehr als die Hälfte der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch spricht.

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