StartInformieren
  
 
 
 
 

Was hält Kinder gesund?

Das Selbstwert- und Zugehörigkeitsgefühl ist für die Gesundheit von Kindern elementar und muss gefördert werden, sagt Christina Krause. Sie ist Professorin am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen und Autorin der Bücher "Selbstwert stärken – Gesundheit fördern" und "Das Ich-bin-ich-Programm".

BIBER: Frau Professor Krause, welcher Zusammenhang besteht zwischen Gesundheit und Selbstwertgefühl bei Kindern?

Christina Krause: In der Definition der Weltgesundheitsorganisation wird darauf Wert gelegt, dass Gesundheit ein Komplex aus körperlichem, psychischem und sozialem Wohlbefinden ist. Zur psychischen Gesundheit gehört auch das Selbstwertgefühl: das Gefühl, ein autonomes Selbst zu sein, sich als wertvoll zu erachten und sich selbst verwirklichen zu können. Und auch das Zugehörigkeitsgefühl braucht der Mensch: das Gefühl, sich von Anderen akzeptiert und angenommen zu fühlen. Je früher man diese Gefühle stärkt, desto besser.

BIBER: Wieso ist das schon in der Grundschule und im Kindergarten wichtig?

Krause: Wir wissen aus der Forschung, dass der Erfolg in der Schule das Selbstwertgefühl von Kindern sehr stark beeinflusst, weil sie "Misserfolg" häufig als Versagen empfinden. Kinder dürfen Fehler machen, sie müssen nur lernen, mit solchen "Misserfolgen" umzugehen und ihr Vertrauen in ihre eigenen Stärken zu behalten. Psychische Störungen im Kindesalter nehmen gegenwärtig zu. Deshalb ist es wichtig, dieses Thema in den Blickpunkt zu rücken! Die Gefahr nach dem PISA-Schock liegt nämlich darin, dass wir zu sehr auf die kognitiven Fähigkeiten Wert legen. Da bleibt die Gesundheit schnell auf der Strecke – zumindest bei den Kindern, die keine Überflieger sind und länger brauchen beim Lernen. Es ist darum ein Anliegen unseres Programms "Ich bin ich", zu zeigen, dass jedes Kind anders ist. Das Motto des Programms lautet deshalb: " Ich bin ich – so wie ich bin, bin ich okay".

BIBER: Welchen Ansatz verfolgt Ihr Programm zur Gesundheitsförderung?

Krause: Wir haben zwei Programme entwickelt: Ein Programm für die Grundschule, das Unterrichtsmaterialien für jedes der vier Grundschuljahre bereitstellt, und ein Programm für den Kindergarten, das für ein Jahr gedacht ist. Wir verfolgen darin jeweils den Ansatz der Salutogenese. Das heißt: Wir fragen nicht, was Kinder krank macht, sondern was sie gesund erhält. Unser Ziel ist es, das gute Selbstwert- und Zugehörigkeitsgefühl, das Vorschulkinder normalerweise haben, zu erhalten und zu fördern.

BIBER: Wie ist das Programm für den Kindergarten aufgebaut?

Krause: Das Programm ist für Kinder angelegt, die im nächsten Jahr in die Schule kommen. Wir haben es über mehrere Jahre gemeinsam mit Erzieherinnen und Erziehern erprobt und deren Hinweise aufgenommen. Die Kinder treffen sich einmal in der Woche für einen "Ich bin ich"- Gesundheitstag. Es gibt insgesamt acht Module mit jeweils zwei bis sechs Themen: Körpererfahrung und Entspannung, Bewegung, Kommunikation, kreatives Spielen, Selbstreflexion, Gefühle, Konflikte und Konfliktlösung sowie Ernährung. Diese sind mit kindgerechten Mottos ausgestattet wie "Ich bin fit und stark" oder "Wir sprechen und spielen gerne miteinander". Zusätzlich begleiten die beiden Maskottchen, die Eisbärin Pauline und der Elefant Emil, die Kinder durch das Programm. Am Ende bekommen sie eine Urkunde, die sie als Experten für Kindergesundheit ausweist. Die Kinder lieben das und sind dann immer ganz stolz.

BIBER: Welche pädagogischen Methoden wenden Sie an?

Krause: Das erste Grundprinzip ist: Kinder lernen etwas, indem sie es tun. Das heißt, man darf ihnen keine Vorträge darüber halten, wie wichtig Gefühle sind, sondern muss sie das in Übungen erproben und reflektieren lassen. Ein weiteres Prinzip ist, dass die "Ich bin ich"-Tage nicht bewertet werden. Denn die Kinder sollen akzeptiert werden, wie sie sind und genau dort abgeholt werden, wo sie stehen. Der dritte wichtige Punkt sind Rituale: Es muss klar sein, dass die Kinder ihren "Ich bin ich"-Tag haben. Es gibt zum Beispiel ein Projektlied, das die Kinder immer singen, und einen bestimmten Raum, wo das Logo des Programms hängt und die Entspannungsmatten ausliegen.

BIBER: Welche Rolle spielen die Erzieherinnen und Erzieher dabei?

Krause: Die Beziehung der Kinder zu den Lehrenden und von den Lehrenden zum Programm ist ausschlaggebend für den Erfolg! Eine besondere Qualifizierung ist nicht notwendig. Aber die Erzieherinnen und Erzieher sollten hinter dem Programm und dessen Ansatz zur Gesundheitsförderung stehen. In den Büchern zu den Programmen stehen Übungen und sind Arbeitsvorlagen integriert, die sie sich kopieren können. Die müssen dann nur noch angewandt werden. Übrigens: Auch die Eltern müssen lernen, damit umzugehen, wenn ein Kind etwas nicht so gut kann. Sie sollten darüber reflektieren, wie sie darauf reagieren und wie sie das Kind vor dem Verlust an Selbstwertgefühl schützen. Deshalb bieten wir parallel zu den Programmen auch Fortbildungen für die Eltern an.

BIBER: Wie reagieren die Erzieherinnen und Erzieher auf "Ich bin ich"?

Krause: Viele haben gesagt, dass sie durch das Programm eine intensivere Beziehung zu den Kindern finden. Denn das, was sie dort über die Kinder erfahren, die persönlichen Sorgen und Wünsche der Kinder, erleben sie als Bereicherung ihrer Arbeit. Das gilt insbesondere für Kindergärten, in denen viele Kinder aus Migrantenfamilien stammen. Beim kreativen Spielen gibt es zum Beispiel eine Übung, wo die Kinder ihre Spiele von zuhause mitbringen und den anderen Kindern vorführen. Da lernen auch die Erzieherinnen und Erzieher dazu! Und: Einige Kinder, die vorher wenig gesprochen haben, werden dadurch immer mutiger. Bisher war es eigentlich immer so, dass die Erzieherinnen und Erzieher, die das Programm einmal durchgeführt haben, es im darauffolgenden Jahr mit der nächsten Kindergruppe wieder machen. Denn die Kinder lieben ihren "Ich bin ich"-Tag.

Weiterlesen

>

Gesundheitserziehung im Kita-Alltag verankert

>

Linktipps

>

Büchertipps

Zurück

>

Gesundheit: Was hält uns gesund?