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"Ungeheuer anstrengend"

Kristina M.* arbeitet als Erzieherin in einer Kölner Kindertagesstätte in einer sehr heterogenen Gruppe. Die größte Herausforderung sei, den Kindern Angebote zu machen, "die alle ansprechen und allen gerecht werden".

BIBER: Können Sie kurz die Rahmenbedingungen Ihrer Arbeit schildern?

Kristina M.: Wir haben 20 Kinder in der Gruppe, die zwischen zwei und sechs Jahren alt sind, und wir sind in der Regel zwei Erzieherinnen. Unsere Kindertagesstätte liegt in einem sozialen Brennpunkt, viele Eltern sind nicht berufstätig und die meisten Kinder haben eine nichtdeutsche Herkunft. In meiner Gruppe beispielsweise sind Kinder, deren Eltern stammen aus Albanien, Polen, Russland, China, der Türkei, dem Senegal und dem Kongo. Von den 20 Kindern sprechen nur drei so gut deutsch, dass ich sie gut verstehe. Das heißt für uns, dass sie Regeln und Absprachen oft nur schwer lernen und begreifen und das wiederum erschwert den Gruppenalltag ungemein. Mit dem "Kinderbildungsgesetz" (KiBiz), das vor etwa einem Jahr in Nordrhein-Westfalen in Kraft trat, wurden wir zu einem offenen Familienzentrum. Dazu gehört auch, dass die Eltern ihre Kinder je nach Bedarf zwischen 7:30 bis 16 Uhr bringen können, wann sie wollen. Das ständige Kommen und Gehen macht die Arbeit nicht gerade leichter. Zur pädagogischen Arbeit ist zudem ein großer Teil an Pflege und Bürokratie hinzugekommen. Alles muss schnell, günstig und effektiv sein. Am meisten leiden darunter die Kinder.

BIBER: Als Sie Ihre Ausbildung begonnen haben, wie haben Sie sich den Beruf vorgestellt? Und wie erleben Sie heute die Realität?

Kristina M.: Ende der 1970er Jahre, vor meiner Ausbildung, habe ich ein Praktikum in einem Elterninitiative-Kindergarten gemacht. Die Arbeit dort traf meine Vorstellungen von Kindererziehung und war so ziemlich das schönste, was ich im Umgang mit Kindern erlebt habe. Damals dachte ich, als Erzieherin könnte ich die Welt bewegen. Meine jetzigen Arbeitsbedingungen sind ungeheuer anstrengend und ich verzweifle sehr daran. Wir haben keine Zeit, kein Material und keine Kraft, weil wir zu wenige sind. Im März hatten wir nach einem Einkauf von Bastelmaterial noch einen Rest-Etat von 15 Euro für's ganze Jahr.

BIBER: Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung im beruflichen Alltag?

Kristina M.: Den Bogen zwischen den Zwei- bis Sechsjährigen zu spannen, so dass es für alle ansprechend ist und ihnen gerecht wird. Das ist eigentlich unmöglich: Wenn wir etwas für die kleineren machen, langweilen sich die großen Kinder und wenn wir etwas mit den großen machen, turnen uns die kleinen auf dem Kopf rum. Dass unser Kindergarten in einem sozialen Brennpunkt ist, verschärft die Arbeit natürlich - obwohl ich bei Kolleginnen aus anderen Einrichtungen den gleichen Erschöpfungsgrad erlebe.

BIBER: Wie empfinden Sie die körperlichen Belastungen?

Kristina M.: Ich bin sehr erschöpft, oft krank, weil die Kinder mich anstecken, und der Rücken schmerzt, weil ich die Kinder viel trage und auf kleinen Stühlen sitze. Ich finde es grundsätzlich nicht gut, dass Erzieherinnen sechs oder mehr Stunden am Stück in der Gruppe arbeiten. Ständig präsent zu sein ist eine Überforderung, gerade mit kleinen Kindern. Im Prinzip bräuchten Erzieherinnen und Erzieher alle zwei Stunden eine Pause oder müssten kurz etwas anderes machen – und sei es nur in der Küche das Geschirr spülen.

BIBER: Es wird viel über die Gruppengröße diskutiert. Wie erleben Sie das?

Kristina M.: Wir haben viel zu viele Kinder pro Erzieherin. Das fällt immer besonders während der Eingewöhnungsphase nach den Sommerferien auf: Jede von uns hat dann ein weinendes Kind auf dem Arm, dann kommt eine Mutter mit dem dritten weinenden Kind und das nächste will gewickelt werden. Das ist wirklich Horror, dass kann man sich nicht vorstellen.

BIBER: Fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit von der Gesellschaft, der Politik wert geschätzt?

Kristina M.: Nein. Viele Eltern sehen schon, dass es Wahnsinn ist, was wir leisten. Aber für die meisten Außenstehenden sind wir einfach "Kindergärtnerinnen", die auf Kinder aufpassen und mit ihnen spielen. Die neuen Bildungsdokumentationen sind auch so ein Beispiel: Auf uns lastet großer Druck, das zu bearbeiten und es kostet viel Arbeitsaufwand, den die meisten Erzieherinnen abends zuhause erledigen - aber wir wissen nicht, wofür wir das tun. Da schaut niemand rein – höchstens vielleicht die Eltern als Erinnerung – und wir dürfen auch nichts Negatives reinschreiben, beispielsweise wenn ein Kind Defizite im Spracherwerb hat.
Was ich toll finde ist, wenn ich mit Kindern Spaß habe, wir einen schönen Alltag verleben, zusammen lernen oder durch gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen ein Austausch stattfindet. Davon zehre ich. Unsere Einrichtung ist für die meisten Kinder ein großer Kontrast zum Elternhaus. Und es ist mir sehr wichtig, dass die Kinder bei uns glücklich sind. Aber ich will und kann mir kein Bein dafür ausreißen, denn dafür wird es zu schlecht bezahlt.

*Name von der Redaktion geändert.

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