"Wir werden nicht gestützt"
"Im Vergleich zu vielen anderen Kitas leben wir hier auf einer Insel", sagt Bettina G.*, die als Erzieherin in einer Kölner Elterninitiative arbeitet. Von Politik und Gesellschaft aber fühlt sie sich keineswegs gestützt - im Gegenteil: "Nichts passiert, was die Qualität wirklich verbessert."
BIBER: Wie sehen die Rahmenbedingungen in der Kita aus, in der Sie arbeiten?
Bettina G.: Ich arbeite in einer Elterninitiative in Köln. Wir haben bisher eine Gruppe mit 20 Kindern zwischen drei und sechs Jahren. Insgesamt sind wir drei Erzieherinnen, die sich zwei Vollzeitstellen aufteilen, und eine pädagogische Hilfskraft. Außerdem haben wir einen Koch auf 400-Euro-Basis. Aus wirtschaftlichen Gründen werden wir demnächst aber eine zweite Gruppe aufmachen, die dann auch für unter Dreijährige ist. Als Elterninitiative sind wir personell besser gestellt als Kindertagesstätten, weil uns die Eltern mit einem zusätzlichen Beitrag unterstützen. Das ermöglicht uns auch beim Material und bei Ausflügen einen größeren Spielraum. Außerdem unterstützen uns die Eltern aktiv beispielsweise bei Ausflügen, springen ein, wenn mal eine Erzieherin krank ist, und kochen an zwei Tagen in der Woche. Dadurch können wir den Kindern, eine gute vegetarische Vollwert-Ernährung bieten. Aufgrund der guten Arbeitsbedingungen ist das Gesamtklima bei uns sehr positiv, wir sind ein sehr stabiles Team – das erleichtert den Arbeitsablauf ungemein.
BIBER: Ein großer Unterschied zu städtischen Kitas?
Bettina G.: Der Betreuungsschlüssel in den städtischen Kitas ist deutlich schlechter und wenn jemand krank wird, gibt es keine Aushilfen. Meist ist auch die Fluktuation beim Personal sehr hoch, das erschwert die Teamarbeit. Außerdem haben viele Kitas von frühmorgens bis 20 Uhr abends auf, aber natürlich sind die einzelnen Kinder nicht durchgehend da, sondern es gibt immer wieder ein Kommen und Gehen.
BIBER: Was sind für Sie die größten Herausforderungen im beruflichen Alltag?
Bettina G.: Das pädagogische Konzept, das wir als Team für richtig erachten, umzusetzen – egal was von draußen kommt. Die frühkindliche Bildung wird seit einigen Jahren extrem stark betont. Verstehen Sie das nicht falsch: Wir unterstützen frühkindliche Bildung, aber oft bleibt vor lauter traditioneller Bildung, dem Streben nach früher Einschulung und frühem Fremdsprachen lernen die soziale Erziehung hinten dran. Lernen Rücksicht zu nehmen, Konflikte zu besprechen, selbst "Nein" zu sagen, aber auch ein "Nein" aushalten zu können – ich denke, das ist der primäre Bildungsauftrag des Kindergartens, weil es die Basis fürs Lernen bildet. Genauso wie Blumen nur wachsen, wenn der Boden gut ist, kann nur ein sozial stabiler Mensch den Schulalltag meistern.
BIBER: Glauben Sie, dass Ihre Arbeit von Eltern, der Gesellschaft, der Politik wert geschätzt wird?
Bettina G.: Von unseren Eltern ja. Aber sonst nicht. Das Gehalt ist viel zu gering, wir werden nicht gestützt und nichts passiert, was die Qualität wirklich verbessert. Die Politik stärkt uns nicht, sondern schwächt uns sogar durch eine geringes Gehalt und die Gesellschaft setzt sich nicht für Veränderung ein. Es ist sehr schade, dass so wenig begriffen haben, wie wichtig gute pädagogische Betreuungs- und Erziehungsarbeit ist – gerade wenn man solche Zwischenfälle wie den in München betrachtet.
BIBER: Trotzdem macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?
Bettina G.: Ja. Es ist immer wieder ein schönes Erlebnis, die Möglichkeit zu haben, Kindern Sozialverhalten beizubringen und zu sehen wie sie sich entwickeln. Das macht Hoffnung. Und ich muss noch mal betonen: Was meine Arbeitsbedingungen angeht, bin ich im Vergleich zu vielen anderen Erzieherinnen und Erziehern, vollkommen begünstigt. Wir leben hier auf einer kleinen Insel – und die Kinder, die das erleben dürfen, haben Glück.
BIBER: Wenn man sich die Bedingungen in vielen Kitas anschaut, müssten die Erzieherinnen und Erzieher dann nicht in den Generalstreik treten und sagen: "Unter diesen Bedingungen können wir unsere Aufgaben nicht mehr erfüllen"?
Bettina G.: Eigentlich schon. Aber die meisten Erzieherinnen und Erzieher fühlen sich gegenüber Eltern und Kindern sehr verpflichtet – und neigen deshalb zur Selbstausbeutung. Ich finde das falsch. Wenn drei Kräfte krank sind, dann sollte eine Einrichtung sagen: "Wir können das nicht mehr leisten und müssen früher schließen." Dann würde vielleicht endlich mehr Druck für Verbesserungen entstehen.
BIBER: Was müsste sich unbedingt ändern, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Bettina G.: Unbedingt das Personal aufstocken auf vier volle Erzieherstellen bei 20 Kindern – so wie es bis in die 1990er Jahre war. Außerdem bräuchten wir eine bessere Finanzausstattung für Material und endlich Bildungsurlaub. Wir können zwar offiziell Bildungsurlaub nehmen, aber praktisch ist das in den Einrichtungen fast nie umsetzbar, weil zu wenig Personal da ist, um das aufzufangen. Fortbildungen muss man in diesem Beruf in der Regel während der Freizeit machen und selbst bezahlen. Und was das heißt, weiß ich, weil ich viele Fortbildungen mache.
*Name von der Redaktion geändert.
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