Schule des Staunens – Lernen und Forschen mit Kindern
Wie sollen Kinder im Kindergarten und in der Grundschule naturwissenschaftlich lernen und forschen? Dr. Salman Ansari stellt hierzu in seinem Buch eine Methode vor, die von den ursprünglichen Formen des kindlichen Lernens ausgeht und konsequent alle pädagogischen Maßnahmen danach ausrichtet.
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Die naturwissenschaftliche Förderung in Kindergärten und Grundschulen ist kein neues Thema und längst in den Bildungsplänen aller Länder verankert. Aber über das "Wie" dieser Förderung gibt es durchaus verschiedene Auffassungen und Konzeptionen. Insbesondere besteht im traditionellen naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht überwiegend die Tendenz, dass Lehrer und Lehrerinnen sich als Informationsvermittler verstehen und daher so agieren, dass sie ihre vorbereiteten Fragen, Vorstellungen und Gedankengänge von den Kindern bearbeiten, dokumentieren und reproduzieren lassen. Dieser Unterrichtsform möchte Ansari nachdrücklich entgegenwirken und vor allem verhindern, dass sich diese Vorgehensweise im Kindergarten etabliert. Entsprechend plädiert er im sechsten Kapitel seines Buches für eine Öffnung des herkömmlichen Unterrichts und die Entwicklung einer neuen Schulkultur im Umgang mit naturwissenschaftlichen Phänomenen. Worauf gründet Ansari seine Ideen?
Kindliche Formen des Entdeckens der Welt
Merkmale ursprünglichen Lernens
Als Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen analysiert Ansari zunächst die kindlichen Formen des Lernens, die es zu unterstützen und so lange wie möglich – vor allem noch in der Grundschule – zu bewahren gilt: Denn sie haben den Charakter eines ursprünglichen Lernens, das vom eigenen Antrieb der Kinder her gesteuert ist und daher stets in absolutem Einklang mit ihren momentan möglichen Vorstellungen und Ideen steht. Ansari nennt als bedeutende Merkmale des ursprünglichen Lernens
| den Antrieb zur Nachahmung, |
| den unaufschiebbaren Drang zur Selbstständigkeit, |
| die Zurückweisung von unerbetener Hilfe, |
| die Bereitschaft zum Wiederholen und Üben, |
| Körpererfahrungen und sinnliches Verstehen, |
| soziale Kooperation und Interaktion. |
Kompetenzen der Kinder stärken
In seinem Buch zeigt er an vielen Beispielen auf, wie sich diese Merkmale im konkreten Tun der Kinder widerspiegeln und welche Bedeutung ihnen für das Lernen zukommt. Man erkennt aber bereits an diesen wenigen Merkmalen, dass diese Form des Lernens im krassen Gegensatz steht zu allen Formen des instruktionsorientierten Lehrens, das überwiegend ohne Beteiligung der Kinder bestimmt, was sie wissen sollen und was sie entsprechend zu lernen, zu denken und zu verarbeiten haben. Kinder werden hier unausgesprochen als Wesen mit Defiziten angesehen, die es zu beheben gilt. Diesem Negativ-Verständnis setzt Ansari ein ressourcenorientiertes Verständnis entgegen, das stets von den Möglichkeiten und Fähigkeiten der Kinder ausgeht und entsprechend danach fragt: "Wie müssen wir das Lernen gestalten, damit die vorhandenen(!) Kompetenzen und das vorhandene Wissen der Kinder stimulierend wirken, um neue Erfahrungen zu machen und neue Zusammenhänge zu entdecken?"
Lernanlässe gestalten
Auf der Hand liegt, dass hierzu in erster Linie die Lernanlässe entsprechend auszuwählen und zu gestalten sind: Als Hauptkriterien nennt Ansari, dass die Lernanlässe die Kinder ermuntern oder gegebenenfalls herausfordern, ihren Entdecker- und Forschergeist ins Spiel zu bringen, ihre Vorstellungen zu artikulieren und mit anderen auszutauschen oder auch Vermutungen zu entwickeln und zu überprüfen. Lassen sich die Kinder darauf ein, wird bei ihnen unvermeidlich die Entwicklung oder Ausdifferenzierung vieler Kompetenzen angeregt und gefördert.
Wie wird entdeckendes Lernen ermöglicht?
Die Form des Lernens, für die sich Ansari einsetzt, ist zwar unter dem Namen "Entdeckendes Lernen" seit langem bekannt, aber ihre Bedeutung für die Welterschließung der Kinder wird nur gelegentlich so deutlich herausgestellt. Entscheidend für das In-Gang-kommen des entdeckenden Lernens ist der "richtige" Beginn: Er besteht darin, "dass sich den Lernenden ein Ereignis, eine Fragestellung als ein Problem anbietet; etwas, das Fragen stimuliert und für die Lernenden in einem ihnen bisher nicht bekannten Kontext steht beziehungsweise ihnen […] rätselhaft erscheint." Hierzu liefert das Buch an verschiedenen Stellen anschaulich dokumentierte Beispiele:
| Kann man Tiere und Pflanzen vergleichen? Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten gibt es?
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| Wenn die Erde eine Kugel ist, wieso fallen dann die Menschen, die sich seitlich und unten auf der Kugel befinden, nicht herunter? |
| Wie funktioniert das Sehen? Warum brauchen wir Licht, um Gegenstände sehen zu können? |
| Wieso kann eine Möwe auf dem Wasser schwimmen, ohne sich zu bewegen?
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| Warum springt ein Gummiball wieder hoch, während ein Jonglierball liegen bleibt? |
| Warum perlt Wasser von Blättern herab? |
Beim Verfolgen solcher Fragen werden von den Kindern nicht einfach Fakten zur Kenntnis genommen und auswendig gelernt, sondern grundsätzlich erarbeitet. Hierbei kommt zum Tragen, dass die Frage "richtig" gestellt sein muss: Denn dann verlangt sie quasi automatisch von den Kindern, Methoden des Beobachtens und Beschreibens, gegebenenfalls des Messens und Quantifizierens und nicht zuletzt des Argumentierens heranzuziehen und einzuüben.
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Informationen zum Autor
| Dr. Klaus Scheler ist Diplom-Physiker und Physikdidaktiker. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Physik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und betreut seit Jahren unter anderem die Ausbildung der Grundschulstudierenden im Sachunterricht. In Zusammenarbeit mit dem Klaus-Tschira-Kompetenzzentrum für frühe naturwissenschaftliche Bildung, das als Projekt der Klaus Tschira Stiftung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg angesiedelt ist ("Forscherstation", siehe Zusatzinformationen rechte Spalte), beschäftigt er sich seit einigen Jahren mit der Förderung von Kindern und ihren Bildungsprozessen im naturwissenschaftlichen Bereich. |