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Kinder wollen gefordert werden

In Deutschland war es lange die Regel, Fremdsprachen erst ab der Sekundarstufe zu unterrichten. Bildungsfachleute waren überzeugt, dass ein früheres Lernen die Kinder überfordern würde. Mittlerweile ist diese These jedoch kaum noch haltbar.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich heute einig: Je früher dies geschieht, desto besser ist es für die Entwicklung des Kindes. "Frühes Fremdsprachenlernen belastet nicht, sondern entlastet. Die Kinder wachsen dann sehr natürlich mit der Fremdsprache auf", sagt Heiner Böttger, Professor für englische Didaktik an der Katholischen Universität Eichstätt. Im frühkindlichen Alter geschieht der Spracherwerb mühelos intuitiv und spielerisch. Kinder gehen offen auf "fremde" Sprecher zu. Das Sprachzentrum im Gehirn entwickelt sich in dieser Zeit gerade, genügend Kapazitäten zum Erwerb der Fremdsprache stehen bereit und wollen genutzt werden. "Kinder wollen gefordert werden", sagt Böttger, "doch wir unterfordern sie permanent."

Kanada als Vorbild

Erfahrungen in anderen Ländern und zahlreiche Studienergebnisse geben den Befürwortern des frühen Lernens Recht. In der kanadischen Provinz Quebec beispielsweise wird bereits seit Mitte der 1960er Jahre so genannter Immersionsunterricht praktiziert: Englische Muttersprachler werden auf Französisch erzogen und unterrichtet. Bei Sprachtests erzielen diese Kinder regelmäßig beste Resultate. An Kanadas Modell orientierten sich in der Folge viele Länder, darunter die USA, Spanien, Australien, Japan und auch PISA-Sieger Finnland.

Fremdsprachen auf den Grundschullehrplänen aller Bundesländer

In Deutschland hat es lange gedauert, bis Fremdsprachenunterricht im frühkindlichen Alter überhaupt anerkannt wurde. Baden-Württemberg war das erste Bundesland, das Englisch nach einer zweijährigen Pilotphase im Jahr 2003 flächendeckend ab der ersten Klasse eingeführt hat. Mittlerweile stehen Fremdsprachen auf den Grundschullehrplänen aller Bundesländer, wenn auch häufig erst ab der dritten Klasse. Zudem werden dem Sprachenunterricht meist nur zwei bis drei Wochenstunden eingeräumt.

Immer mehr Kindergärten bieten zweisprachige Erziehung an

Am wirksamsten lernen Kinder fremde Sprachen, wenn sie sie wirklich kontinuierlich hören und sprechen können, und das heißt: mehrsprachig aufwachsen. Derzeit gibt es hierzulande fast 900 Schulen, in denen bilingual unterrichtet wird. Und auch immer mehr Kindergärten bieten eine zweisprachige Erziehung an. Wie erfolgreich Kinder lernen, die früh und intensiv mit mehreren Sprachen in Berührung kommen, hat die DESI-Studie 2006 gezeigt. Neuntklässler, die bilinguale Erziehungseinrichtungen besuchten, waren gleichaltrigen Schülerinnen und Schülern demnach im Englischen im Schnitt um zwei Jahre voraus.

Kinder nicht unter Druck setzen

Dennoch sollten Eltern das frühkindliche Fremdsprachenlernen nicht nur unter dem Leistungsaspekt betrachten oder ihre Kinder gar unter Druck setzen. Eine Garantie auf Lernerfolg gibt es nicht. "Verschiedene empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass Kinder nicht automatisch eine Fremdsprache auf muttersprachlichem Niveau lernen, wenn sie vor dem Alter von sechs Jahren damit beginnen", sagt Thorsten Piske, Professor für englische Linguistik und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd.

Je früher, desto besser

Der Trend sei jedoch eindeutig: "Je früher Kinder damit beginnen, desto erfolgreicher lernen sie sie auf längere Sicht – und diese Tendenz sollte man nutzen", sagt Piske. Nicht, um aus den Kleinen unbedingt geistige Überflieger zu machen. Der Spracherwerb kommt auch deren sozialer Entwicklung zugute. "Erfahrungen zeigen, dass Kinder offener und interessierter sind gegenüber fremden Sprachen und Kulturen, je früher Kinder an Fremdsprachen herangeführt werden", sagt Piske. Frühkindlicher Spracherwerb kann eben nicht nur dazu beitragen, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft zu erhöhen. Er fördert auch die interkulturellen Kompetenzen.

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